You – Vom Romantiker zum Stalker und Killer. Review ganze Serie.

„You” ist die Antithese zu unzähligen romantischen Komödien und „Liebesfilmen“. In Teilen könnten die Szenen 1 zu 1 aus selbigen stammen, doch dann präsentiert die Serie den großen Clou: Statt einer (pseudo-)romantischen Liebesgeschichte ist „You” eine Stalker Geschichte, die im weiteren Verlauf mörderisch eskaliert. Somit ist die Serie ein spannender Mix aus Krimithriller und Romance, die gängige Klischees anders beleuchtet.

Im Zentrum der 5-staffeligen und mittlerweile abgeschlossenen Serie steht Joe Goldberg (Penn Badgley), ein Buchhändler aus New York, der sich selbst als hoffnungslosen Romantiker beschreiben würde, in dem allerdings eine dunkle Seite lauert. Im Verlauf der Geschichte wird Joe aufgrund seiner Eskapaden immer wieder zum Umzug gezwungen, so dass sich eine ähnliche Grundstory an unterschiedlichen Orten in den Staffeln wiederholen kann. Joe verliebt sich stets Hals über Kopf in eine Person, manchmal werden seine Avancen erwidert, manchmal nicht, doch irgendwie schafft es Joe (dessen inneren Erzähler-Monolog die Zuschauer hören) in seiner Besessenheit häufiger mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. Zu einer soliden Produktion und der cleveren Grundprämisse kommen einige kreative Ideen und gute Referenzen, zudem schafft es die Serie überraschend eine gewisse Sympathie für die Charaktere aufrechtzuerhalten, obwohl diese zum Teil sehr dämlich handeln. Der Star sind aber die Thriller- und Parodieelemente, wenn Konflikte eskalieren weiß „You” einen Spannungsbogen aufzubauen und diesen mit zahlreichen Twists aufzulösen – wenn auch nicht immer schlau und zu meiner vollsten Zufriedenheit.

Die Staffeln mit jeweils 10 Episoden haben leider auch die ein oder andere Filler-Folge und wirken hochgradig konstruiert, Zufälle passieren zuhauf, glaubwürdig oder realistisch ist wenig, leider auch nicht die Charakterentscheidungen. Man merkt der Serie irgendwann an, dass sie von ihrem eigenen Erfolg überrascht wurde und es nur deshalb noch so viele Staffeln gab. Tatsächlich empfinde ich die 2. Staffel als die beste, man hätte gerne danach oder spätestens mit dem furiosen, großartigen Ende von Staffel 3 eine Serie beenden sollen, die sich danach nur noch in schlechter wiederholte. Doch der Reihe nach:

Die 1. Staffel arbeitet sich noch sehr gekonnt satirisch an den zahlreichen Genreklischees ab und dekonstruiert sie, was die größte Stärke der Serie ist. Es beginnt mit einem ersten Treffen in einem New Yorker Buchladen, wo unsere Hauptperson Joe sich Hals über Kopf in Beck (Elizabeth Lail) verliebt. Romantisch! Oder eben überhaupt nicht, wie die ersten Episoden schön bitterböse illustrieren. Ich fand es damals etwas schade, dass in Folge 6 nicht ein aus meiner Sicht sehr cleverer, neuer Weg gegangen wird (der mit dem Schicksal der Hauptfigur zu tun hat), aber dann hätte man sich natürlich alle Folgestaffeln versaut. Auch so wird das Tempo am Ende erhöht, die Handlungsstränge fliegen drunter und drüber, aber es ist weitgehend unterhaltsam. „You” ist dabei nie besonders schlau, aber die gelungene Genremelange lässt die Serie sehenswert werden.

Staffel 2 verfrachtet die Handlung nach L.A. und das ist alles was ich aus Spoilergründen dazu inhaltlich schreiben kann. Überraschend ist eine noch recht junge Jenna Ortega Teil des Ensembles, sie spielt auch hier schon besser als große Teil des restlichen Casts. Ansonsten tritt Love Quinn (Victoria Pedretti) in Joes Leben, die auch ihr eigenes Päckchen zu tragen hat. Ich empfand Staffel 2 als leichte Steigerung zur ersten Staffel, die vor allem in den starken letzten 3 Folgen sichtbar wird. Man merkt den Machern an, dass sie etwas sicherer und experimenteller geworden sind und sich filmisch mehr zutrauen (Folge 8&9). An dieser Stelle erreichte die Serie ihren Peak.

Staffel 3 versetzt die Handlung in die kalifornische Vorstadthölle. Diesmal fokussiert sich die Handlung auf 2 Hauptcharaktere und ist durchaus blutiger und impulsiv gewalttätiger als je zuvor. Die Staffel beginnt überraschend und interessant in einem guten ersten Handlungsstrang (Folge 1-4). Danach gibt es aber leider 3-4 Fillerfolgen, die im Endeffekt zu großen Teilen auch eine Kopie von Staffel 1 sind. Die letzten beiden Episoden holen die Serie wieder aus dem Schlummerland und sind unterhaltsam. Wie die vorherigen Staffeln wirkt die Handlung weiterhin unfassbar konstruiert und ist teilweise mit saudummen (teilweise albernen) Figurenaktionen gespickt, damit die Handlung voranschreiten kann. Leider ist die Staffel auch filmisch ein Rückschritt zu Staffel 2, die Tiefenunschärfe nervte mich und die Machart ist wieder deutlich klassischer, nur noch solide. Insgesamt fühlte es sich gerade in der Mitte so an, als ob die Ideen ausgegangen wären. 

Staffel 4 spielt in London (nachdem man zu Beginn eilig das angedeutete Paris abspeist). Man springt in die Welt von irgendwelchen unsympathischen, reichen „High Society”-Mitdreißigern. Die erste Hälfte der Staffel fokussiert sich auf eine lange Exposition dieser uninteressanten Charaktere und eine kleine Murder-Mystery-Version, ein klassisches Whodunit. Dies wird sogar mit noch mehr Toten auf einem Schloss aufgeklärt… Die 2. Hälfte wird dann etwas klassischer „You”, aber der Twist ist schnell zu erahnen. Insgesamt ist alles gut produziert und mit vielen kleinen Filmzitaten und Hommagen gespickt. Aber leider fehlt dieses gewisse Etwas, das Besondere, was „You” immer ausmachte. Man hat zu häufig das Gefühl, alles schon mal besser woanders gesehen zu haben. 

Staffel 5 entscheidet sich an den Ort zurückzukehren, wo alles begann: New York. Mit der Figur der Bronte (Madeline Brewer) wird ein Beck-Variante eingeführt, ihre Geschichte wird von einem Familiendrama (da hat wohl jemand „Succession” geschaut) ummantelt, die auch noch das typische Zwillingsspiel einbringt. Ein paar Klischees später steht in der Mitte ein Twist, der folgenlang gegen den Wind zu riechen war, aber dennoch funktioniert. Danach geht es allerdings bergab mit der Logik. Sonderlich schlau, fein konzipiert und nachvollziehbar ist „You” schon lange nicht mehr, doch die zweite Hälfte der letzten Staffel verlangt den Zusehern schon so einiges an Akzeptanz in Sachen Charakterhandlungen ab. Figuren schauen dumm in der Gegend herum, wenn sie wissen, dass sie gleich angegriffen werden, Personen gestehen einfach mal alles, wenn die andere Person ein Handy in der Hand hat, man läuft an Schusswaffen vorbei, die man dringend benötigt… und das ist nur die Spitze des Goldbergs… oder Eisbergs. 

Die vorletzte Folge stimmt zumindest im Vibe, auch wenn es einige Dummheiten gibt, die letzte Folge versucht sich mehr an einer Meta-Herangehensweise. „Wie lässt man so eine Geschichte vernünftig enden?” fragt sich eine Figur stets stellvertretend für Publikum und wohl auch Drehbuchschreiber, die mutmaßlich das ein oder andere Mal das Ende veränderten, um letztlich dann schrecklich „happy” zu werden und noch den moralischen Zeigefinger zu erheben. Die letzte Folge ist nah dran an einer Vollkatastrophe, da die Story weder passend für die Figuren, noch clever oder logisch (zumindest außerhalb des Zombie-Genres) zu Ende erzählt ist. Schade, dennoch ist Staffel 5 wieder unterhaltsamer als die vorherige 4. Staffel, das Ende ist allerdings ein dicker Wermutstropfen.

Am Ende bleibt eine Serie, die man sich als Fan von Romantic Comedys ansehen und die Dekonstruktion der Genreklischees genießen sollte, bis man erkennt, was diese seltsame Filmromantik häufig eigentlich ist: Stalkerverhalten. Darüber hinaus kann „You” bis zum Ende von Staffel 3 zumindest großteilig mit seinem Thrillerplot überzeugen, ich empfehle nach Staffel 3 aufzuhören. Die letzten beiden Staffeln braucht man nicht mehr.

77/100
Total Score
Nach oben scrollen