Wir sind die Welle – „Wer denkt, der stinkt!“ Review Miniserie

„Wir sind die Welle” ist eine Netflix Serienadaption des Buchs, bzw. des Films, den ich damals gerne mochte – das wunderbare Ende hat mich damals als Schüler im Unterricht, wo wir den Film gemeinsam schauten, umgehauen. Deshalb hatte ich durchaus Interesse an einer Serienverfilmung. Buch und Film erzählen von der Faszination des Faschismus und wie das als Experiment angelegte autoritäre Konstrukt irgendwann größer wird und nicht mehr aufzuhalten ist.

Die Netflix-Serie ist leider eine seltsame Adaption, die ich entweder nicht verstanden habe, oder bei der die Macher das Ausgangsmaterial nicht verstanden haben. Die Adaption bietet fremdschämige-kopfschüttelnde Unterhaltung, mit der man sich eher knechten kann, als Spaß damit zu haben. Fremdscham steht auf der Tagesordnung. Das absolute Laienschauspiel gepaart mit Dialogen, bei denen ich nur hoffen kann, dass sie improvisiert sind und nicht wirklich jemand diese in ein Drehbuch geschrieben hat, geben ein eindrucksvolles Bild der Geschmacksverirrung ab. „Du bist und bleibst en Gangster“ „Wer denkt, der stinkt“ „Na? – Selber na“ „Du hast zu viele Liebesfilme geguckt – und du zu wenige“ sind nur einige und die noch harmlosen Momente, weil ich natürlich nicht mehr von der Brillanz vorwegnehmen möchte.

Für die Serie müsste ein neues Wort erfunden werden, was Plakativität, Klischeehaftigkeit und Naivität zusammenfasst und noch um ein Vielfaches potenziert. Die reiche hübsche Dame aus gutem Hause, der neue coole Typ auf der Schule mit dunklem Geheimnis, der Dicke trottelig-lustige, die Punkgöre, die sich erstmal die Haare abrasiert, der mit Longboard rumrennende „Ausländer”, dessen Herkunft als Storyvehikel dienen muss… Natürlich gibt es auch die rettenden Lovestories. Sonst wäre es ja nicht interessant. Zu Beginn von Folge 4 begegnet uns der „Böse“. Und wie böse er ist. Er richtet erstmal mit seiner Waffe eine Kuh hin. SO BÖSE IST DER! Stört übrigens keinen seiner Polizisten Kollegen. Danach isst er auch noch ein METTBRÖTCHEN MIT ZWIEBELN! Holy shit. Dann tritt er einfach Fahrräder um! Und wenn uns das noch nicht gereicht hat zu wissen, wie böse er ist: Er ist auch noch Mitglied im AfD-Äquivalent der Serie. Es ist wirklich fantastisch.

Die Figuren haben keinerlei Tiefe oder sinnvolle Charakterentwicklungen. Es gibt teilweise Charaktertwists, die sind nur noch hanebüchen. An einer Stelle streiten 2 Mitglieder. Es geht um den Einsatz von Gewalt oder einem Bekennen zur Gewaltlosigkeit, um die (politischen) Ziele zu erreichen. Das könnte eine wichtige Stelle sein. Allerdings wird diese mit Sex aufgelöst um es später wieder aufwärmen zu können. Aber keine Angst: Später wird auch nichts Sinnvolles dazu gesagt. Ist das schon Kunst oder kann das weg?

Das ganze Drehbuch ist ein Flickenteppich, der Logik schon früh über den Haufen wirft und zum Ende es tatsächlich noch schafft, immer unlogischer zu werden. Die perfekte Facetimeverbindung aus der JVA in einem Bereich, wo keine Handys erlaubt sind, ist da noch das geringste Übel. Dass man alle seine Aktionen filmt, darauf zu sehen ist, online stellt und die Polizei trotzdem keine Ahnung hat, wer das sein könnte… puh. Am Ende von Folge 5/Anfang Folge 6 dreht alles dann vollständig durch und erdolcht die letzte verbliebene Logik. Mit 42 Stichen. Die „Dialoge“ sind meist nur Kulisse, um sich von einem pseudo-bedeutungsschwangeren Bild zum nächsten zu hangeln. Jemand lässt sich rückwärts in einen Pool fallen! Wie kriegen wir das hin? – Ach frag einfach deinen 8 jährigen Sohn, dem wird schon ne Vorgeschichte dazu einfallen.

Die insgesamt recht hübschen, modernen Bilder und an Fifa-Soundtracks erinnernde Musik können es letztlich nicht retten, machen das Schauerlebnis aber dadurch auf visueller Ebene angenehmer. Insgesamt eine Serie, die sich an jeder Stelle nach schlechter Privatfernsehproduktion anfühlt und an keiner als Netflix Produktion.

Viele haben vor der Serie beklagt, dass die Welle nun politisch linksgerichtet ist, was die Prämisse des Originals zerstört. Das ist aber in der Tat das geringste Problem der Serie, die keinen Hehl daraus macht, wie schlimm, mächtig und doof die AfD und die Nazis sind. Da sollte sich niemand Sorgen machen. Doch das größte Problem der Serie muss ich leider hinter einem Spoiler verdecken:

SPOILER! 

Die Ursünde der Serie ist nämlich, dass sie in einem unglaublich plakativ-dämlichen Ende die Welle zu Helden macht und damit das Ausgangsmaterial komplett zerhackt, zerkaut, wiederkäut und ihm dann ins Gesicht kotzt.

„Die Welle” ist nicht nur eine Serie, die man verpassen kann, sondern eine, die man bewusst meiden sollte.

20/100
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