When Life Gives You Tangerines – Geheimtipp? Starkes koreanisches Familiendrama. Review

Wenn dir das Leben Mandarinen gibt, dann leg sie auf einen Grill, schäle und verspeise sie. Eine Tradition aus dem asiatischen Raum, die in diesem melancholischen, nostalgischen und wohligen Familiendrama aus Südkorea referenziert wird. Doch gelingt Netflix sogar ein neuer Exportschlager? Immerhin ist die Serie bei IMDb, Rotten Tomatoes und Co. sehr hoch bewertet und Netflix bietet sie auch in deutscher Synchronisation an.

Ich denke nicht, weil das Thema eines klassischen, generationsübergreifenden Familiendramas auf der südkoreanischen Insel Jeju mit großem Fokus auf Tragik, Romanze und Eltern-Kind-Beziehung vor dem Hintergrund eines sich entwickelnden Südkoreas nicht die klassischen Zutaten eines weltweiten Überraschungshit sind. Wobei man die Versatzstücke natürlich auch aus westlichen Serien kennt, „This is Us” kommt der Grundgeschichte und Atmosphäre wohl nah, das weiß ich allerdings nicht aus erster Hand. Doch in Südkorea werden diese Geschichten natürlich noch etwas dramatischer erzählt. Wer noch nicht viele koreanische Serien gesehen hat, wird den Darstellern „overacten“ unterstellen, das wird auch noch von der sehr dramatischen deutschen Synchronisation unterstrichen, allerdings sollte dies niemandem vom Seriengenuss abhalten. Ja, es wird etwas mehr geschrien und geweint, aber ehrlich gesagt ist das meistens auch sehr nachvollziehbar, es passt sich gut an die Tragik und Tragweite einiger Szenen an.

„When Life Gives You Tangerines” erzählt mit zahlreichen Zeitsprüngen aus den Leben von Ae-sun (zunächst IU, dann Moon So-ri) und Gwan-sik (zunächst Park Bo-gum, dann Park Hae-joon) von 1950 bis zum Ende der 2000er Jahre. Die beiden leben auf der Insel Jeju (südlich von Südkorea) in eher ärmlichen Verhältnissen und kennen sich bereits seit der Kindheit. Ae-suns Mutter ist eine Haenyeo, eine Meerestaucherin, die ohne Equipment und zusätzlichen Sauerstoff vor der Küste nach Meeresfrüchten taucht und damit schon mit etwa 6 Jahren begann. Doch für ihre Tochter wünscht sich die arme Frau, deren Mann verstarb, ein besseres Leben. Ae-sun versucht zunächst reich zu heiraten um ihre Träume der Schriftstellerei und eines sorglosen Lebens zu erfüllen, doch am Ende einer überaus kitschigen und schönen dritten Folge gewinnt natürlich die Liebe und sie heiratet Gwan-sik, der ebenfalls nicht allzu viel Geld besitzt.

Daraufhin entwickelt sich die Geschichte relativ klassisch weiter. Die beiden werden jung Eltern, müssen ihre eigenen Träume begraben und stattdessen die Familie durch viel harte Arbeit irgendwie über Wasser halten, ihre 3 Kinder aufziehen. In Episode 6 erreicht die Serie ihren emotionalen, tragischen Höhepunkt. Ab Folge 7 liegt der Fokus mehr auf der nun fast erwachsenen ältesten Tochter der Familie, Geum-myeong, die überraschenderweise auch von der Darstellerin IU gespielt wird, was zunächst etwas verwirrt. In einer Doppelrolle stellt sie ihre Mutter in jüngeren Jahren und die älteste Tochter der Familie dar. Auch bei ihr stehen in der etwas ruhigeren Mitte der Serie (Folgen 7-11) Liebes- und Zukunftsfragen im Zentrum, allerdings in Seoul. In diesen Episoden gönnt sich die Staffel eine kleine Auszeit, die Handlung wirkt etwas langatmig. Doch dieser Mittelteil endet mit dem Höhepunkt eines Zeitraffers des Schwiegermonsters, was ich so fies und eindringlich noch nie gesehen habe. Gegen Ende der Staffel nimmt die Handlung wieder Fahrt auf, Hochzeiten und sehr traurige Enden stehen auf der Tageskarte, genau wie ein Restaurant. 

Die Serie ist sehr gut produziert, die Kamera ist hochwertig und fängt viele schöne Bilder ein, die Schauspieler verkörpern ihre Rollen überzeugend, ab und an mischt sich auch etwas Comedy mit hinein, aber die Serie ist weitgehend ernst, was ich sehr begrüße. Zahlreiche Überblendungen zeugen von Kreativität, die Kostüme und jeweiligen Settings sorgen dafür, dass man die jeweilige Zeit gut einschätzen kann, auch CGI-Effekte und eine teilweise dynamische Kamera wissen zu überzeugen. Man wird die Serie und ihre nostalgische Wucht sicherlich noch etwas besser fühlen können, wenn man aus Südkorea stammt und die Zeit von 1955-2010 nicht nur vom Nachlesen kennt, aber einige Referenzen, wie zum Film Ghost – Nachricht von Sam, Dragon Ball, dem Pokémon Schiggy oder dem Fußballtrainer Guus Hiddink fruchteten auch bei mir.

Teilweise verstehe ich einige Charaktere nicht so ganz, beispielsweise den großen Fokus auf materielle Güter und die steten Vorwürfe gegenüber der Familie aus ärmlichen Verhältnissen sind mir etwas sauer aufgestoßen, aber die Figuren haben eben Ecken und Kanten, die sie überwiegend glaubwürdig werden lassen. Darüber hinaus bin ich auch kein großer Fan von „Kinder sind genau wie ihre Eltern“, aber das ist eher ein persönliches Problem von mir.

Insgesamt ist „When Life Gives You Tangerines “ eine schöne Serie, die etwas fürs Herz ist und gleichzeitig viele traurige Momente beinhaltet. Denn im Vordergrund steht nicht das perfekte Leben einer reichen Familie aus Seoul, sondern das schwierige, harte Leben mit Hindernissen einer ärmlichen Familie aus Jeju. Wenn die Serie der Erstkontakt mit koreanischen Serien ist, wird der Anfang noch etwas seltsam wirken, aber danach ist man schnell gefangen und fühlt sich schon bald selbst wie ein Teil der Familie. Für eine noch höhere Bewertung sind mir einige Handlungsstränge etwas zu konventionell (die Partnersuche in Seoul), darüber hinaus ist die Handlung der insgesamt 16 Folgen in der Mitte etwas zu gestreckt. Dennoch ist die abgeschlossene Serie absolut sehenswert. Wenn man Genrefan ist, kommen vielleicht sogar noch ein paar Prozentpunkte obendrauf.

84/100
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