„Utopia“ ist eine britische, sehr brutale Verschwörungsthriller-Serie mit Mystery-Elementen und ein echter Geheimtipp. Der britische Humor, der aus dem Grotesken und Absurden entsteht, rundet die Serie genauso gut ab, wie die spürbaren Tarantino-Vibes.
Eine Triggerwarnung ist angebracht, die Serie ist nicht ohne Grund ab 18. Es gibt viel Blut, es wird gefoltert, Kopfschüsse werden aus der Nähe gezeigt, es gibt Gewalt an Kindern (wobei da abgeblendet wird) und allgemein ist der Killcount der Serie sehr hoch. Dabei gerät die Gewalt jedoch nie zum Selbstzweck, sie untermalt die Glaubwürdigkeit einer Welt, in der die Bösen wirklich böse sind, über Leichen gehen und die Bedrohungslage stets spürbar bleibt. Die Serie wurde nach 2 Staffeln à 6 Folgen verfrüht beendet, auf eine finale letzte Staffel wurde hingebaut, aber auch so funktioniert die Serie als fieses offenes Ende.
Die Handlung der Serie wirkt zu Beginn noch recht wirr, in der ersten Szene wird jedoch sofort verdeutlicht, dass die Serie brutal ist. Denn die Auftragskiller Arby und Lee bringen locker leicht in einem Comicbuchladen Menschen um, darunter auch ein Kind. Sie suchen nach Jessica Hyde. Währenddessen treffen sich online 4 Bewunderer der dystopischen Graphic Novel „The Utopia Experiment“, ein 5. Fan behauptet das Manuskript eines Nachfolgers zu besitzen, worauf alle anspringen. Doch Person Nr. 5 stirbt und die 4 sehr unterschiedlichen Comicfans – die ehemalige Medizinstudentin Becky, der ITler Ian, der Verschwörungstheoretiker Wilson und der 11-jährige Grant – sehen sich einer weltumspannenden Verschwörung ausgesetzt, die von einer überaus kompromisslosen und mächtigen Organisation angeführt wird. Diese besitzt sogar Ideale, will allerdings hochgradig zweifelhafte Methoden nutzen.
„Utopia“ kann zunächst mit seiner ungewöhnlichen Welt punkten, die allerdings authentisch wirkt. Denn das mörderische Handeln der bösen Organisation mit zunächst unendlich wirkenden Mitteln wird steht häufig im Vordergrund, die Bedrohung bleibt nicht abstrakt, wie bei vielen James Bond oder anderen Vertretern des Verschwörungs/Agenten-Genres. Darüber hinaus gelingt durch das Drehbuch ein twistreiches Verwirrspiel, das viele Doppel-oder gar Tripleagenten vorsieht und damit häufig unvorhersehbar bleibt (bis auf einige Ausnahmen, wie die Figur des Anton). Durch pointierte Dialoge gelingen auch einige absurd wirkende, aber starke Comedy-Sequenzen. Darüber hinaus bietet die Serie einen starken Look, natürlich sieht sie nicht nach großem Budget aus, aber das braucht es auch nicht, wenn man eine Vision hat. Der düstere, dreckige Stil wird mit zahlreichen leuchtenden Farben untermalt, Symmetrie spielt auch eine Rolle bei der Bildkomposition. Weiterhin gelingen einige schöne Kamerashots, so dass das Gesamtwerk gepaart mit der Brutalität und den starken Charakteren leichte Tarantino Vibes (Reservoir Dogs, Pulp Fiction, Kill Bill) versprüht.
Staffel 1 wirkt zu Beginn noch etwas verwirrend, ab der Mitte und den ersten Enthüllungen, stellt sich aber ein schnelles Pacing für den Rest der Serie ein, wobei dennoch Zeit für die Charaktere bleibt. Es ist dabei bemerkenswert, dass die Serie zahlreiche Reveals zu bieten hat, nicht nur ständig neue Fragen aufgeworfen werden, sondern auch vieles beantwortet und die Geschichte in andere Bahnen gelenkt wird. Episode 1 der 2. Staffel bietet die Originstory der Verschwörung und verknüpft die Serie gekonnt mit realen Ereignissen der damaligen Zeit. Sie ist das absolute Highlight der Serie in 4:3 Bildformat. Generell bietet „Utopia“ einige Schauwerte und erinnerungswürdige, krasse Szenen, bei denen man sich denkt: Das haben sie jetzt nicht wirklich gemacht (Schule)! Das enthüllungsreiche Ende der 1. Staffel ist ganz fantastisch.
Natürlich kann man auf der Negativseite anfügen, dass alles sehr konstruiert wirkt, und dass durch zunächst fehlende Exposition der Einstieg etwas schwierig ist. Darüber hinaus sind die Charakterentwicklungen gerade im Staffelverlauf teilweise etwas seltsam, wobei bei einigen die Veränderung auch gut und sinnvoll bereits frühzeitig angedeutet wird. Nicht ganz logisch ist, dass die Personen in solche Machtpositionen kommen, aber das führt wiederum zu hochinteressanten, spannenden Szenen. Doch die böse Organisation agiert in Staffel 2 auf einmal überraschend sorglos, entgegen dem kühlen, berechnenden Bild aus Staffel 1. Auch der Zufall spielt manchmal eine zu große Rolle und es gibt etwas Plot Armour. Doch letztlich fällt das alles nicht groß ins Gewicht, gerade wenn man sich einfach vom starken Tempo der Serie treiben lässt.
Die Serie bietet ein fieses Cliffhanger Ende, wobei man die Hauptgeschichte der 2. Staffel eigentlich beendet, aber auch eine neue Bedrohungslage eröffnet. Man wollte sicher noch mindestens eine Staffel produzieren. Leider kam es dazu nie, somit hat die Serie ein offenes, fieses Ende, man hätte vielleicht ein anderes gewählt, wenn man gewusst hätte, dass die 2. Staffel auch die letzte sein wird. Schade.
Dennoch sollte dies kein Hindernis sein, denn „Utopia“ ist sicherlich eine der besten Verschwörungsserien, die es überhaupt gibt. Ein Geheimtipp, den wenige gesehen haben und der deutlich mehr Zuschauer verdient. Vor allem in Deutschland ist die britische Serie fast gänzlich unbekannt und daher auch schwer bei Streaming Anbietern in Gänze zu finden. Doch es lohnt sich.



