„The White Lotus” ist eine satirische HBO Drama- und Comedyserie, die zunächst als Kritikerliebling begann (die 1. Staffel wurde mit 10 Emmys überhäuft) und danach zum Publikumsliebling und bekannter wurde. Die große Stärke der Serie ist die Satire, die komplette Überhöhung, die Absurdität, die überraschenden Momente, teilweise die Überquerung von Grenzen des guten Geschmacks – vor allem sexuell. Die Anthologie-Serie tauscht pro Staffel den Großteil des Casts durch und wählt ein anderes Setting (bisher Hawai, Italien, Thailand) für das titelgebende White Lotus Luxusresort.
Jede Staffel bietet dasselbe Setup: Reiche (und meist unsympathische) Menschen urlauben im Luxusresort „White Lotus” und werden dort von zahlreichen (teils schrulligen) Angestellten empfangen. Zu Beginn der Staffeln wird mittels eines kleinen Zukunftsblicks als Spannungs-Appetithappen deutlich, dass mindestens eine Person dort sterben wird. Die einzelnen Staffeln funktionieren unabhängig voneinander. Die jeweilige Haupthandlung ist auf eine Staffel begrenzt, wobei es wenige Ausnahmen gibt, die über die Staffelgrenzen hinaus weitererzählt werden.
Ich persönlich sehe gerne reichen Menschen dabei zu, wie sie sich selbst demaskieren und sich gegenseitig (oder selbst) zerstören. Grundsätzlich hat jede Figur mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen, wobei man häufig „First world problems” zurufen möchte. Dabei gelingen teilweise ganz fantastisch pointierte Dialoge, die aussagekräftig und bitterböse den Charakter der Superreichen einschätzen. Alleinstellungsmerkmal der Serie ist der fortwährend lauernde Fremdscham, der „Cringe”, der sich unangenehm um die Zuschauer legt und man eigentlich wegschauen möchte.
In Staffel 1 steht ein frisch verheiratetes Paar im Zentrum, die Dame beginnt aber schon früh ihre Rolle als „Trophäe“ eines reichen Schnösels zu hinterfragen. Die vollkommen derangierte ältere Dame Tanya (Jennifer Coolidge, große Klasse) möchte die Asche ihrer verhassten Mutter verstreuen im Meer vertrauen. Eine Familie, mit einer erfolgreichen CEO-Mutter, einem Vater, der Angst vor Hodenkrebs hat, einem eigenbrötlerischen Sohn und einer „politisch korrekten“ Tochter, die ihre Freundin mitbringen durfte, bietet darüber hinaus Zündstoff. Jede dieser genannten Charaktere und Figurenkonstellationen birgt mehr als genug Spannungen, Diskussionen und Konflikte. Vor allem der Resortleiter, der seit 5 Jahren clean ist und nun eine Fehde beginnt, spielt eine große Rolle.
Staffel 2 ist grundsätzlich etwas stärker als Staffel 1, weil der Klamauk etwas zurückgefahren wird. Der ganze Cast wurde durchgetauscht (bis auf wenige Ausnahmen) und das Setting auf Sizilien verlegt, an den Figurenkonstellationen ändert sich aber nicht viel. Im Zentrum stehen erneut die Manager Position (schwächer als in Staffel 1), zwei junge Paare, die gemeinsam urlauben (die Aubrey Plaza Storyline ist die beste), eine Familie (diesmal spannender, erinnert an „Der Pate”) und die weitergeführte und absurdere Storyline um Tanya (auch besser). In der Mitte beschäftigt sich die Handlung fast ausschließlich und auffallend viel mit Sex aller Figuren und tritt etwas auf der Stelle, der Abschluss ist aber schön absurd und teilweise sogar furios. Das vormals omnipräsente Musikthema ist etwas remixed und zurückgefahren worden, aber immer noch sehr gut.
Staffel 3 verlegt die Handlung nach Thailand und ist mit ihren 8 Episoden die bisher längste Staffel. Das spürt man, da die Exposition zu lang dauert und es erst ab Folge 5 spannender wird. Das Teilnehmerfeld ist diesmal breit gefächert. Zunächst gibt es eine fünfköpfige Familie mit Banker-Vater und ältestem Sohn, einer Mutter mit dem Lieblingsessen Lorazepam, einer idealistischen Tochter mit Hang zum Buddhismus und dem Nesthäkchen. Darüber hinaus entspannen drei mittelalte Freundinnen auf Koh Samui, eine davon Filmstar, die später mit Hotelangestellten und deren zwielichtigen Freunden anbandeln. Weiterhin sucht ein Gast mit seiner jüngeren Freundin nach dem Besitzer des Resorts, findet diesen aber erst in Bangkok mit der Hilfe seines Kumpels, der von Sam Rockwell porträtiert wird, den ich ganz großartig fand. Darüber hinaus gibt es eine thailändische Liebesgeschichte rund um den Wärter und seine Kindheitsfreundin (Lalisa Manobal), die sehr auf Geld und Stand fixiert scheint.
Über weite Strecken ist „The White Lotus” mehr traurig als lustig, aber im Verlauf der Episoden wird eine gute Balance für eine satirische Dramedy erreicht. Schöpfer, Drehbuchautor und Regisseur Mike White versucht sehr am Puls der Zeit zu sein, was ihm häufig gut gelingt. Die teils pointierten und entlarvenden Dialoge können mitten ins Schwarze treffen (Beispiel, wenn in Staffel 3 Mutter & Tochter über ihre Verpflichtung als Reiche den Armen gegenüber sprechen), teilweise wirken sie auch etwas plakativ, weil sie bekannten Problemen nichts Neues hinzufügen. Die 2. Staffel ist für mich die stärkste, die 1. und 3. Staffel rangieren auf einem ähnlichen Niveau. Nach Staffel 3 wirkt die immergleiche Formel allerdings etwas angestaubt, so dass ich hoffe, dass die 4. Staffel etwas vom bisherigen Schema abweichen wird.
Insgesamt ist „The White Lotus” eine gelungene und schockierende Satire, die Grenzen neu auslotet und einige fantastische Dialoge zu bieten hat. Allerdings ist das Tempo im vorderen Abschnitt der Staffeln meist etwas niedrig, da die Serie sehr dialoglastig ist. Die Absurdität und der Humor lassen die Serie aber sehenswert werden, häufig gelingen starke Charakter- und Zeitstudien. Das ergibt eine polarisierende Serie, die in den Bann ziehen kann – oder einen schnell abstößt.



