„The Promised Neverland” ist ein zunächst idyllisch und kindlich wirkender Anime, der jedoch schnell verdammt fies wird, wenn sich erste Geheimnis der Welt lüftet. Denn dann kommt zum Abenteuer-Genre eine Thriller- und Fantasiekomponente mit schweren Themen hinzu. Staffel 1 ist ganz fantastisch, die schon finale 2. Staffel der Manga-Adaption hat leider einige Probleme.
Die Handlung der insgesamt 24 Episoden à 25 Minuten spielt im Jahr 2045. Mehrere Dutzend Kinder leben in einem abgeschiedenen Waisenhaus mit viel Auslauf und Grünflächen und ihrer „Mama“, der Heimleiterin. Ab und an werden Kinder adoptiert und zum großen Tor geführt, dem einzigen Ein- und Ausgang des Geländes, das von hohen Mauern umgeben ist. Doch eines Tages folgen zwei der Kinder verbotenerweise der Heimleiterin und dem adoptierten Kind und entdecken dabei etwas Grauenvolles, zunächst kaum Vorstellbares. Wer eine nette Animeserie erwartet, die herzerwärmend, wie „Anne with an E” von Waisenkinder erzählt, der wird schnell eines Besseren (oder eher eines Böseren) belehrt.
Staffel 1: Hinter der süßen Fassade mit zahlreichen liebenswerten Kindern, die Spaß haben und denen es an nichts (außer Eltern) fehlt, lauert ein knallharter Anime mit emotional brutalen, traurigen Szenen und Kindern in Extremsituationen. Direkt am Ende der 1. Folge (rund 22 Minuten pro Folge) lauert aber der Punkt, an dem man weiß, ob die Serie etwas für einen ist. Denn diesen Twist muss man erstmal verdauen und akzeptieren, falls nicht, wird man keinen Gefallen an der Serie finden. Ich werde ihn nicht verraten, man sollte sich den Twist vorher nicht anlesen: Doch wer dranbleibt, der wird belohnt. Die liebenswürdigen Kinder, die Gruppendynamik, das Abenteuer, die Dystopie, der Nervenkitzel, das Mitleiden: Das ist eine starke Melange. Insgesamt bietet „The Promised Neverland” eine hervorragende 1. Staffel. Die Zusammenarbeit der Kinder, die cleveren Ideen, das Worldbuilding, die Antagonisten, die Erzählweise mit bewussten Auslassungen, die Intrigen, die gesponnen werden und die immer wieder neuen Twists machen die Staffel gerade in ihrer zweiten Hälfte zu einem spannungsgeladenen Ritt. Außerdem kommt eine starke Emotionalität hinzu, die gerade im hinteren Teil wirklich sehr gekonnt ausgespielt wird, die Handlung kann einen voll mitreißen. Über allem schwebt die Frage von Vertrauen und die ewige Wahl zwischen Sicherheit und Freiheit. Doch was ist die Wahrheit dieser Fantasy-Welt? „The Promised Neverland” bietet vielleicht eine der besten und überraschendsten 1. Staffeln eines Animes, danach kann man die Serie allerdings auch beenden, wenn es bis dahin sehr gut fand. Denn die 2. Staffel bedient sich ganz anderer Genren, expandiert deutlich und hetzt sich viel zu schnell durch die Welt.
Die 2. Staffel knüpft nahtlos an das starke Ende der 1. Staffel an und beantwortet sofort die größte Frage der 1. Staffel. Sicherlich nicht zur Zufriedenheit aller, aber zunächst herrscht weiter ein hoffnungsloser, düsterer Ton, der auch bereits die 1. Staffel dominierte. Die vormals recht komprimierte, kleine, intime Geschichte wird nun weltumspannend riesig. In ihrer Größe, den Charakteren, den Twists & Intrigen und der Inszenierung erinnert sie dabei mehr an japanische Rollenspiele aus dem Videospiel-Bereich, trifft aber meist die richtigen Töne. Gleichermaßen muss man bei der Hauptgeschichte einiges einfach akzeptieren, wenn man die Serie weiterhin folgen möchte. Es gibt verschiedene Welten, zahlreiche Gruppierungen mit den unterschiedlichsten Hintergründen und Motiven, seltsame Charakterhandlungen, und Kommissar Zufall oder Schicksal (wie in JRPGs üblich) steuert die Handlung des Öfteren. Dennoch ist “The Promised Neverland” auch in Staffel 2 eine gelungene Parabel auf unsere Gesellschaft, denn trotz aller offensichtlichen Unterschiede, handelt es sich letztlich um eine wenig subtile Metapher auf unsere Gesellschaft und wie wir miteinander umgehen. Sie ist damit gleichzeitig ein flammender Appell an die Naivität, das bedingungslose Weiterkämpfen, den Optimismus und den Glauben die Welt verändern zu können, entgegen aller Widerstände. Ein Blickwinkel, der mir gerade heutzutage deutlich schwerer fällt, der allerdings dennoch funktioniert.
Staffel 2 wirkt im Vergleich zur ausladenden ruhigen 1. Staffel sehr gehetzt. Es vergeht viel Zeit während einzelner Folgen, gerade die letzte Folge setzt dem Ganzen die Krone auf, weil sich in den letzten 5 Minuten noch eine weitere Staffel verbirgt, die man im Schnelldurchlauf erzählt bekommt. Das ist sehr schade, weil massiv die Manga-Story (rund 50 Kapitel in 20 Bänden) eingekürzt wurde, vermutlich war kein Geld oder Vertrieb mehr für eine 3. Staffel vorhanden.
Wen ein eigentlich schönes, aber unfassbar gehetztes Ende sehr stört, der sollte einen Bogen um „The Promised Neverland” machen, aber für mich bleibt die Serie ein Geheimtipp. Staffel 2 ist zwar ganz anders als Staffel 1, sie decken unterschiedliche Genres ab, aber man fiebert dennoch gerne mit den Charakteren mit und begleitet sie auf ihrem schwierigen, abenteuerlichen Weg. Dabei möchte ich nicht verhehlen, dass Staffel 1 deutlich besser ist, ich finde die 2. Staffel allerdings nicht so katastrophal, wie sie online gemacht wird – bis auf das sehr enttäuschende Ende, was ich allerdings niemandem so richtig vorwerfen möchte.



