„The Missing” bietet feinstes britisches, emotionales Drama. Beide Staffeln konnten mich bei der damaligen Ansicht emotional regelrecht umhauen, denn es geht um ein sehr spezielles und fieses Thema: Kindesentführung. Die Serie ist dabei harter Tobak und schreckt nicht vor Konsequenzen und schmerzhaften Szenen zurück. Ich möchte beide Staffeln des herzzerreißenden, gut gespielten Krimidramas empfehlen, die zweite ist sogar noch etwas stärker.
„The Missing” wurde nach zwei Staffeln beendet, sie wirkt gewissermaßen, wie eine Anthologie-Serie, da sich Staffel 2 mit einem komplett neuen Fall in anderem Setting beschäftigt, nur der pensionierte Ermittler Julien Baptiste (Tchéky Karyo) und die Thematik bilden Verbindungsstücke. Nach dem Ende von „The Missing” bekam Baptiste auch noch ein gleichnamiges Spin-Off spendiert, das nicht mehr die Qualität der Hauptserie haben soll.
Staffel 1 spielt auf zwei Zeitebenen im Jahr 2006 und im Jahr 2014, wodurch deutlich wird, dass man das vermisste Kind wohl nicht sofort wiederfinden konnte. Die britische Familie Hughes, bestehend aus Tony (James Nesbitt, stark), Emily (Frances O’Connor) und ihrem 5-jährigen Sohn Ollie, fährt im Urlaub nach Nordfrankreich. Dabei verschwindet Ollie bei einer öffentlichen Fußballübertragung des Viertelfinals der WM 2006 und wirkt wie vom Erdboden verschluckt. Der renommierte Ermittler Julien Baptiste der örtlichen Polizei wird auf den Fall angesetzt. Die Eltern, gerade der Vater, sind von Schuldgefühlen zerfressen und medial werden der Fall und die möglichen Fehler der Eltern gnadenlos ausgeschlachtet. Auch 8 Jahre später ist der Junge immer noch verschwunden, Emily lebt ihr Leben weiter, während Tony, mittlerweile ihr Ex-Mann, weiterhin wie besessen jeden kleinsten Hinweis nach dem Verbleib seines Sohnes verfolgt. Doch 2014 bekommt er eine größere neue Information, die zu einer neuen Spur führen könnte. Somit holt er den mittlerweile pensionierten Baptiste wieder mit ins Boot. Daraus entspinnt sich eine relativ klassische Krimi-Suche nach dem Täter mit der Frage, was damals wirklich passiert ist. Das Ende ist überragend gut und emotional mitreißend, in der Mitte hat die 8-teilige ein paar kleinere Pacingprobleme.
Generell ist „The Missing” solide produziert und inszeniert, vor allem der Aufbau von Spannung, die gekonnt inszenierte Emotionalität, die schwermütige Atmosphäre, einige gelungene Wendungen und eine gewisse Unvorhersehbarkeit bei den Auflösungen zeichnet die Serie aus. Zudem ist das Darstellerensemble überzeugend. Diese Stärken gelten für beide Staffeln, die ebenfalls 8-teilige Staffel 2 ist durch einen Kunstgriff auch in der Mitte durchgehend spannend und hat weniger Tempoprobleme.
Staffel 2 bietet eine komplett neue Handlung in einem Setting rund um britische Militärangehörige, die in Hannover, Deutschland, stationiert sind. Die Staffel erweitert nicht nur den Cast, sondern auch die verschiedenen Zeitebenen – aus zwei werden drei. Sam Webster (David Morrissey) und seine Frau Gemma (Keeley Hawes) sind beide Militärangehörige und in Deutschland stationiert. 2003 verschwand ihre damals 13-jährige Tochter Alice spurlos, doch diesmal kehrt die Tochter im Jahr 2014 tatsächlich kurz vor Weihnachten zurück. Die zunächst schwerkranke Alice (Abigail Hardingham) flüstert darüber hinaus noch den Namen „Sophie Giroux”, ehe ihr der Blinddarm entfernt wird und sie zu ihrer überglücklichen Familie nach Hause darf. Doch ihr Bruder Matthew und auch in Teilen die Eltern stellen sich die Frage, ob das zurückgekehrte Mädchen wirklich Alice ist. Währenddessen ermittelt Eve Stone (Laura Fraser) in dem Vermisstenfall und kontaktiert Baptiste, da er zu seiner aktiven Zeit am Fall der Sophie Giroux arbeitete und nun Alice dazu befragen könnte. Über die hochspannende aber etwas spoilernde Zeitebene des Jahres 2016 möchte ich noch nichts verraten.
Staffel 2 baut ein sehr starkes Konstrukt durch seine Zeitebenen und erweitert die Kindesentführungs-Handlung gekonnt um die Rückkehr und Fragen nach der Identität. Darüber hinaus gibt es allerdings auch einen relativ klassischen Kriminalfall, in dem der Verbleib von Sophie Giroux geklärt wird. Nach und nach setzt sich Puzzle zusammen und ergibt am Ende nach einigen Twists ein ganz hervorragendes Werk. Die letzten beiden Episoden der 2. Staffel sind wirklich überragend gut.
Generell möchte ich „The Missing” jedem ans Herz legen, den die schwere Thematik nicht vollkommen abschreckt. Denn beide Staffeln sind stark konzipierte Familiendramen mit großer Krimi-Storyline und einigen Mysteryelementen, die einen emotional wirklich ergreifen können. Gleichermaßen ist die Serie in Deutschland überraschenderweise immer noch ein kleiner Geheimtipp, was sich ändern sollte!



