The Lost Flowers of Alice Hart – Wie Gewalt in der Kindheit ein Leben bestimmt.

„The Lost Flowers of Alice Hart” ist eine Amazon-Miniserie, basierend auf dem gleichnamigen Buch, über häusliche Gewalt und dessen Auswirkungen für Kindheit und Erwachsenenleben. Deswegen ist eine Triggerwarnung angebracht, denn wie Frauen und Kinder in dieser Geschichte größtenteils behandelt werden, schmerzt schon sehr.

Die junge Alice Hart führt ein Leben in der australischen Provinz mit ihrer liebenden Mutter und ihrem gewalttätigen Vater. Schläge und Misshandlungen stehen innerhalb der Familie auf der Tagesordnung. Die Konflikte kulminieren in einem großen Feuer und in der Folge stellt sich die Frage, wer künftig auf Alice aufpassen soll. Diese Rolle übernimmt der Star der Show, Sigourney Weaver als Großmutter June. Sie leitet eine Art Frauenhaus, einen Zufluchtsort für misshandelte oder perspektivlose Frauen auf einem Hof. Aus diesem Setting ergibt sich der starke Blumenbezug der Serie, denn auf dem Hof kommuniziert man lieber „durch die Blume”, benutzt die Bedeutung von Blumen als Metaphern, statt miteinander zu reden. Zudem hat Alice auch noch einen Bruder, was weitere Probleme hervorruft.

Die ersten 3 Folgen zeigen Alice im Kindesalter (Alyla Browne), eine Freundin der Mutter versucht das Sorgerecht für Alice zu bekommen, die hinteren 4 Folgen im Erwachsenenalter (Alycia Debnam-Carey). Produktion und Machart der Serie sind sehr gelungen. Aus dem reichhaltigen Schauspielensemble fällt niemand negativ auf, im Gegenteil, gerade Alycia Debnam-Carey zeigt nach „Fear the Walking Dead”, dass sie wirklich schauspielern kann.

Die dargestellten Themen sind hart und schwer verdaulich, weil der Teufelskreis der Misshandlungen niemals aufhört und alle Beteiligten immer wieder in diesen Sog hineingezogen werden. Doch die dargestellte Sichtart auf toxische Beziehungen empfand ich als sehr frustrierend. Als außenstehender Zuschauer denkt man, dass die missbräuchlichen Anzeichen so überdeutlich sind, dass das doch auch die Beteiligten sehen müssen. Muss man sich Zuschauer innerhalb der langwierigen Erzählung noch anschauen, wie das angeblich Unvermeidliche geschieht, obwohl es vermeidbar gewesen wäre? Natürlich weiß ich auch, dass es nicht so einfach ist aus missbräuchlichen Beziehungen zu entfliehen, zwischen „Love-Bombing” und wehenden „red flags” ist das nicht einfach, gerade auch, weil der missbräuchliche Partner sein Opfer isoliert. Dennoch empfinde ich das Ansehen von so etwas als maximal frustrierend und kann es selbst kaum nachvollziehen. Darüber hinaus bin ich überhaupt kein Fan davon, dass man Missbrauchs-Geschichten auf ein „liegt ja in der Familie“ herunterbricht. Ich mag die Idee nicht, dass die Mutter eine Veranlagung missbraucht zu werden weiter „vererbt“, oder so einen Quatsch. Insofern habe ich die größten Probleme bei dieser Serie mit der Geschichte und was sie erzählen möchte. Das ist primär mein persönliches Problem, vielleicht können andere darüber hinwegsehen.

Außerdem war es schwierig mit einem der drei Hauptcharaktere zu sympathisieren. Mit Alice als Kind schon, aber als Erwachsene sieht man, wie sie vorwärts ins Messer läuft. Ihre Großmutter June hat so viel Dreck am Stecken in der Sabotage ihrer Enkelkinder, dass ich dafür keine Sympathien hegen kann und Sally (Asher Keddie), die Freundin von Alice Mutter, verbringt die ersten Folgen mit dem Versuch per Gericht der Großmutter ihre Enkelin wegzunehmen, indem sie sie diskreditiert… Glücklicherweise gibt es immerhin noch Candy (Frankie Adams, Bobby von „The Expanse”) und Twig (Leah Purcell) im Blumenhaus, die sympathisch wirken. 

Deswegen war es für mich letztlich eine eindringliche Miniserie mit ganz großartigen, schmerzhaften, fiesen und menschlich-widerlichen Szenen. Gleichzeitig fand ich die Handlung aber auch zu lang, zu vorhersehbar, zu „ich ergebe mich in mein Schicksal“ und zu frustrierend in den Charakterentscheidungen und Handlungen, um mich wirklich damit identifizieren zu können. Letztlich weiß ich nicht, ob die Geschichte für Betroffene „empowerend“ ist, oder nicht, ich kann es nur hoffen und glücklich sein, dass ich so etwas nicht am eigenen Leib erfahren musste.

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