The Family Man – Agentenserie trifft Slapstick-Comedy in Indien. Review Staffeln 1&2

Eine indische Agenten-Serie und damit ein Exot in dieser Sammlung. Die Serie bietet eine seltsame Melange aus hartem Agententhriller mit Actionsequenzen und teilweise überaus stark inszenierten, spannenden Episoden und gewöhnungsbedürftiger Comedy, die gerne auch in den Slapstick abgleitet.

Hauptcharakter Srikant (Manoj Bajpayee), der für den indischen Geheimdienst arbeitet (vor allem in gefährlichen Außeneinsätzen) muss gleichzeitig seine Familie managen, die viel seiner Zeit verlangen und vor denen er seine Tätigkeit weitgehend geheim hält. Von seiner Familie wird er eher als Trottel wahrgenommen, auf der Arbeit ist er allerdings ein Top Agent (mit Makeln).

Zu Beginn noch mit Comedy, fast Slapstick-Momenten ausgestattet und arg auf die Familie fokussiert, dreht sich die Serie ab Folge 4 in eine düstere, ernstere Richtung, was ich sehr begrüßte. Aus meiner Sicht sind gerade die mittleren Episoden der 10-teiligen 1. Staffel große Klasse. Gegen Ende wird die Handlung etwas zu groß, Dinge geschehen zu einfach, es wird sich nicht mehr die Zeit genommen vernünftig eine Bedrohungslage aufzubauen und zu erklären. Dann wird zu sehr an einer Actionschraube gedreht, es wirkt zu sehr wie ein James Bond Film, der seine ganze Handlung in 30 Minuten pressen musste. Dabei geht etwas Tiefgang verloren, der zuvor so behutsam und gut aufgebaut wurde. Ein bisschen weniger Handlung oder am Ende mehr Folgen, die sich mehr Zeit für den Aufbau des Showdown genommen hätten, hätten der Serie geholfen. Die letzte Folge leidet dann leider noch an Glaubwürdigkeitsproblemen. 

Inszenatorisch ist die Serie absolute Spitzenklasse. Gerade die (zum Teil gefakten) One-Shots sind große Kunst. Hier möchte ich vor allem die großartige und unglaublich spannend inszenierte Krankenhausszene erwähnen. In Sachen Produktion muss sich die Serie nicht vor größeren US-Produktionen verstecken. Auch die Atmosphäre und der indische Kulturkreis sind spannend und interessant eingefangen.

Staffel 2 beginnt sehr ruhig, der gute Srikant hat sich nun in einen „normalen Job“ zurückgezogen, wo seltsam halb komödiantisch ständig ein Typ hinter ihm steht, der ihn kritisiert. Zu Beginn geht dies fast schon in eine merkwürdige Sketchcomedy-Richtung. Dennoch vermag auch sein neuer Job und seine dadurch neu gewonnene Zeit das Familienleben und seine Ehe nicht wirklich zu verbessern. 

Die Geschichte um den zurückgezogenen Srikant, dem jetzt der Thrill, der Nervenkitzel in seinem Leben fehlt, ist langweilig und unnötig langatmig erzählt, weil ohnehin jeder von Beginn an weiß, wie es endet. Immerhin wird diese zu lange Exposition auch für einen genaueren Blick in das Innenleben seiner Familie genutzt, der leicht interessanter als sein neuer Job ist, aber auf der Stelle tritt und irgendwann leicht ermüdet. Doch nur weil Srikant kein Agent ist, heißt das eben nicht, dass es keine Kriminellen gibt. Diese „Gegenseite“ sind in Staffel 2 tamilische, meist aus Sri Lanka stammende Terroristen/Freiheitskämpfer (wikipedia hilft zur Einordnung), die relativ viel Screentime bekommen. Deren Handlungsstrang ist spannender erzählt und hält die erste Hälfte der 2. Staffel interessant. Doch so richtig beginnt die Handlung – paradoxerweise – erst spaßig zu werden, wenn es wieder ernster wird. Denn endlich kehrt „Sri” (zur Verwunderung von niemandem) zurück in den Agentendienst. Spätestens ab dem hervorragenden (fake) One Shot im Haus (Folge 6) finde ich sehr viel hervorragend. Die 2. Staffel benötigt eine sehr lange Anlaufzeit, belohnt aber alle, die dabei geblieben sind. Denn die 2. Hälfte der Staffel ist großartig und bewegt sich inszenatorisch auf einem hohen Niveau. Mindestens alle Stärken der vorherigen Staffel werden erneut gezeigt und sogar übertrumpft, gerade im Vergleich zum gehetzten Ende der 1. Staffel. Die 8. Episode kann es mit den Größen des Genres problemlos aufnehmen.

Letztlich lohnt sich auch die 2. Staffel, obwohl man sich durch den Anfang etwas durchkämpfen muss. Aber die steten Highlights am Ende der Staffel zahlen vieles wieder zurück, da sie den kompletten Höhepunkt der Serie bilden. Staffel 1 und 2 sind qualitativ somit schwierig gegeneinander abzuwägen. Staffel 1 ist konstanter, Staffel 2 hat ein paar Tiefen, aber auch höhere Höhen erreicht. 

Grundsätzlich möchte ich „The Family Man” trotz oder wegen seines besonderen Genremix aus Slapstick-Comedy und konsequenter Agentenserie empfehlen, da sie im indischen Kulturkreis spielt, den viele von uns eben nicht so kennen. Man erhält eine Handschrift, die man eben nicht von US-amerikanischen oder europäischen Serien kennt, man kann hier seinen Horizont erweitern.

82/100
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