„Sweet Tooth” ist eine wilde Mischung aus Fantasy/Postapokalypse mit dem klassischen Gefühl von Abenteuerfilmen mit Kindern in der Hauptrolle. Basierend auf einem DC Comic, was man vielleicht nicht unbedingt erwarten würde, gelingt der Serie ein gutes World Building, liebenswerte Charaktere und eine stimmige Atmosphäre, bei der Handlung selbst muss man leider ab und an Abstriche machen.
Sweet Tooth oder auch Gus (Christian Convery) ist ein Hybrid aus Mensch und Hirsch, hat er doch Tierohren und ein Hirschgeweih. Offenbar sind nach dem Ausbruch einer extrem tödlichen Seuche (tödlicher als Covid, die Referenzen werden dennoch rausgehauen) auf einmal nur noch Kinder als Tierhybride geboren worden, keine „normalen” Kinder mehr. Die Haupthandlung setzt rund 10 Jahre später ein. Die neue Welt ist klassisch postapokalyptisch zerfallen in einzelne Gruppierungen, die teilweise friedlich agieren und teilweise Gewalt sprechen lassen. Einige Gruppen leben auch in einer Art von „gated communities“ relativ normal. Dennoch ist die Ausgangssituation, dass die Hybrid-Kinder für den Untergang der Welt verantwortlich gemacht werden, so dass die Mensch-Tier-Mischlinge flächendeckend gejagt und getötet werden.
Die Weltbeschreibung ist diesmal etwas länger ausgefallen als sonst, aber das ist bei einer ungewöhnlichen Fantasywelt vielleicht auch nötig. Doch für welche Zielgruppe ist „Sweet Tooth” ausgelegt? Man sollte Fantasy nicht abgeneigt sein (auch Dystopien nicht) und kein Problem mit kindlichen Abenteuer-Figuren und deren Handlungssträngen haben. Man hat wenig nuancierte Charaktere, sondern eher recht plakative. Dasselbe gilt auch für die Beziehungskonstrukte der Figuren. Das fällt aber nicht weiter ins Gewicht, wenn man bedenkt, dass „Sweet Tooth” den Spirit von Kinder-Abenteuer-Filmen einfangen möchte. Dennoch ist die Serie nichts für kleinere Kinder, die Freigabe ab 12 Jahren erscheint mir vernünftig. Für kleinere Kinder könnten die dargestellten Themen etwas zu grausam wirken.
In insgesamt 3 Staffeln mit jeweils 8 Episoden wird die Geschichte von Gus erzählt, die auch eng mit der möglichen Suche nach einem Heilmittel und der Befriedung der Welt zusammenhängt. In Staffel 1 fühlen sich die ersten 3-4 Folgen noch sehr gestückelt und episodisch an, die 2. Hälfte erhält allerdings mehr Stringenz, einen roten Faden und auch gleichzeitig mehr Hintergrundinformationen, die letztlich in einem schönen Reveal zum Abschluss der Staffel münden. Dieser lässt mich die erste Staffel eher als große Exposition verstehen und macht Lust auf mehr.
Staffel 2 schließt an das Ende der ersten Staffel an und ist zunächst in viele verschiedene Handlungsstränge unterteilt, weil viele der Hauptfiguren getrennt sind. Das ist mal interessanter (Wissenschaftler (Adeel Akhtar) und Gus-Storyline) und mal wenig interessant (Bear (Stefania LaVie Owen) & großer Mann (Nonso Anozie). Das World Building ist für mich immer noch der Star, das wird aber zu selten in der Tiefe betrieben und bleibt eher oberflächlich – ein Beispiel dafür ist das Gespräch der verschiedenen Stammesführer untereinander und was daraus folgt. Die Handlung ist weiterhin nicht sonderlich clever und die Charaktere ziemlich eindimensional, der „Böse“ ist so ein fast unfassbarer Klischeebösewicht, der wie Dr. Eggman aus Sonic aussieht. Dennoch ist der Kinder-Abenteuer Aspekt wieder sehr gelungen und ab der Hälfte nimmt die Story Fahrt auf. Es ist alles nicht kompliziert, sondern einfach, aber häufig emotional ergreifend. Dennoch wird vieles zu sehr nach dem bekannten Schema F vorgetragen.
Ein Beispiel: Ich brauche nicht auch nur noch eine Szene mit: „Hey, ich muss dir jetzt was Wichtiges erzählen, warte, kommt gleich, es ist schwierig, ja…“ – Irgendwer unterbricht das Gespräch. – „Ja, war nicht so wichtig.“ Und dann kommt es später in einem unpassenden Moment wieder auf den Tisch, damit es auch schön zu Kurzschlussreaktionen kommen kann. Ich kann solche Sequenzen nicht mehr sehen. Aber das ist etwas off-topic.
Staffel 3 fühlt sich zu Beginn erneut sehr episodisch an: Die Gruppe vertraut wieder Menschen, in der Hoffnung, dass ihnen geholfen wird: Überraschung, Menschen sind kacke. Oder doch nicht alle? Auch dass Dr. Singh wieder auftaucht, hätte ich nicht zwingend benötigt. Ab der Mitte, wenn es endlich nach Alaska geht, zieht das Tempo an. Ich habe mich gefreut, Cara Gee („The Expanse”) als warmherzige Freundin von Gus Mutter zu sehen und die Alaska Abenteuer Geschichte der Kinder, gerade von Gus, funktioniert. Leider sind die Bösewichte immer noch ziemlich comichaft böse und einige Märtyrer-Sequenzen wenig überzeugend (wenn jemand mit einem Messer bedroht wird, dann stelle ich mich nicht in den Stichweg, sondern tackle den Messerstecher…)
Die übergeordneten Storylines gegen Rassismus und mit dem Menschen als das Übel der Natur (Klimawandel) funktionieren weiterhin sehr gut und werden mit einer gewissen kindlichen Unbeschwertheit erzählt. Auch die Reveal Folge 6 ist passend, genauso wie das zufriedenstellende Ende. Für mich sind alle Staffeln letztlich auf einem ähnlichen Niveau, mit ähnlichen Stärken (Kinderabenteuer, Aussage, „Feel Good”-Charakterbeziehungen, gute Darsteller, dystopische Welt) und ähnlichen Schwächen (zweifelhafte Charakterhandlungen, eindimensionale Charaktere, zu einfaches, auf Zufall basierendes Storytelling, Fragmentierung).
Letztlich ist „Sweet Tooth” eine gelungene, ungewöhnliche, abgeschlossene Serie mit Kindern in der Hauptrolle, bei der viel stimmt, die allerdings auch etwas Potenzial verschenkt. Dennoch empfand ich die insgesamt 24 Episoden als überwiegend sehenswert.



