„Stranger” ist ein hervorragendes koreanisches Krimidrama, das neben Mordfällen auch Verschwörungen und Korruption innerhalb von Staatsanwaltschaft und Polizei in den Mittelpunkt stellt und dadurch schnell eine eigene Identität entwickelt. Die Serie war die erste koreanische, die ich komplett im Originalton mit Untertiteln schaute, weil es leider keine deutsche Synchronisation gibt. Für mich hat es sich sehr gelohnt, denn „Stranger” ist eine der besten Krimiserien überhaupt.
Die Serie umfasst 2 Staffeln à 16 Episoden. Die erste Staffel schließt ihre Handlung gekonnt ab, die zweite Staffel spielt zwei Jahre nach den Ereignissen und fokussiert sich noch mehr auf Themen innerhalb der Ermittlungsbehörden. Eine Serie, bei der man gut aufpassen muss, um alle Hinweise verarbeiten zu können und bei der man auch Mitraten kann, wohin sich die Handlung entwickelt – wobei am Ende mehr der Weg das Ziel ist und nicht das klassische Miträtseln über den Täter im Mittelpunkt steht.
Staatsanwalt Hwang Si-mok (Cho Seung-woo) ist ein etwas seltsamer Geselle, weil er nach einer Operation um seine Hypersensibilität einzudämmen, seine Empathiefähigkeit verloren hat, soziale Normen nicht versteht und sehr auf seine Arbeit fokussiert ist. Klingt etwas seltsam? Richtig, aber keine Sorge, dieser etwas abenteuerliche Plotpunkt ist der unlogischste in einem sehr durchdachten, vielschichtigen Gesamtwerk mit sehr guten Drehbüchern und Dialogen. Zu Beginn wird der intelligente Staatsanwalt eher zufällig mit einem Mord konfrontiert, er ist schnell am Tatort und versucht auf eigene Faust zu ermitteln, den Täter zu schnappen. Doch eigentlich ist dies natürlich nicht die Kernaufgabe der Staatsanwaltschaft, sondern der Polizei, was im weiteren Verlauf noch zu zahlreichen Differenzen führen soll. Deshalb wird die Polizei-Kommissarin Han Yeo-jin (Bae Doona, großartig) mit dem Fall betraut. Gemeinsam versuchen die beiden nun dem Täter auf die Spur zu kommen. Doch schon bald bemerkt das ungleiche Ermittlerduo, dass ihnen das Leben – auch von innerhalb ihrer Behörden – schwer gemacht wird, denn hinter dem Mord stehen noch viele größere Verwicklungen.
Nachdem die Serie eher ruhig beginnt und nach klassischem Krimi klingt, bringen die korrupten Behörden im weiteren Verlauf eine spannende Note mit hinein. Zudem ist die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern eine große Stärke, durch ihre charakterlichen Unterschiede ergeben sich auch passende komödiantische Momente. Ich empfand vor allem die Hauptdarsteller als sehr gut und authentisch, das Ensemble darum herum wirkt manchmal etwas überzeichnet. Aber eine empathielose Hauptfigur ist natürlich genau das Richtige für die westlichen Augen, die koreanischen Produktionen eine zu große Emotionalität vorwerfen. Inhaltlich fokussiert sich die Haupthandlung auf die immer weiter führende Ermittlung, mit all ihren Enthüllungen. Es wird viel aufgedeckt, viel vertuscht und irgendwie müssen die Hauptdarsteller durch den Sumpf der Korruption manövrieren, ohne dabei selbst unterzugehen. „Stranger” ähnelt in der Atmosphäre somit klassischen Krimiserien, wirkt aber durch sein Korea Setting und seine Korruptionsthematik einzigartiger. Die Macher verstehen es am Ende der Folgen häufig, einen Glanzpunkt oder Cliffhanger zu setzen, zudem liefert die verzweigte und facettenreiche Handlung immer wieder überraschende Wendungen. Nach langsameren Beginn wird die Geschichte ab der Mitte viel größer und kann ab Episode 6 fast durchgängig überzeugen, das Tempo wird im letzten Drittel stark angezogen.
Die Produktion der Serie wirkt sehr hochwertig, die Inszenierung überwiegend klassisch. Es gibt allerdings einige spannende visuelle Einfälle, wie beispielsweise die Darstellung von Morden, wenn der Staatsanwalt den möglichen Ablauf in seinem Kopf durchspielt. Die ab und an verwendeten Slowmotions empfand ich hingegen als leicht störend, aber das ist persönliche Präferenz. Am wichtigsten bleibt bei dieser Serie die Haupthandlung und diese wird nach dem halbsinnvollen Setup sehr gut und auch logisch erzählt – zumindest soweit ich das anhand der Untertitel bewerten kann. Insgesamt möchte ich Staffel 1 trotz kleinerer Makel sehr empfehlen, was vor allem durch die starken letzten Episoden begründet ist. Ich war absolut gefangen in dieser spannenden und korrupten Welt.
Staffel 2 spielt etwa zwei Jahre nach den Ereignissen von Staffel 1. Das bekannte Ermittlerduo arbeitet weiterhin bei ihren jeweiligen Behörden und nicht mehr täglich zusammen. Doch schon bald soll das Hauptthema der neuen Staffel sie wieder zusammenführen, denn große Konflikte zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei stehen an. Die Staatsanwaltschaft möchte mehr Ermittlungsrechte, die Polizei autonomer werden und eine Einflussnahme unter allen Umständen verhindern – Stichwort Gewaltenteilung. Um diese Probleme und mögliche Veränderungen zu besprechen, wird ein Rat gebildet aus Mitgliedern beider Behörden, die zu einer Vermittlungslösung kommen sollen – natürlich gehören unsere beiden Hauptfiguren Si-mok und Yeo-jin dem Rat auf unterschiedlichen Seiten an. Doch darüber hinaus arbeiten sie auch wieder zusammen an einigen Mordfällen.
Leider bildet der Beginn der 2. Staffel das größte Problem der ganzen Serie. Der Behördenkonflikt wird mit einem kryptischen Mordfall verbunden und auch danach hangelt sich die Handlung undurchsichtig von Fall zu Fall, ohne für eine Gesamtübersicht zu sorgen. Erst relativ spät – etwa ab Folge 7 – wird ein roter Faden greifbarer. Ab diesem Moment nimmt die Handlung wieder Fahrt auf, bietet viel Spannung und Drama. Korruption, Vertuschungen und Intrigen stehen noch mehr im Vordergrund als in der vorherigen Staffel, die moralischen Lehrern aus diesen Verwicklungen sind teilweise wirklich niederschmetternd. Die Produktion der 2. Staffel ist sogar noch etwas besser geworden, das Pacing steht der 2. Staffel allerdings leider etwas im Weg. Dennoch kann auch diese Staffel, vor allem im letzten Drittel, wieder auf ganzer Linie überzeugen mit cleveren Wendungen, einer schlauen Haupthandlung und authentischen Dialogen.
Staffel 1 ist besser als die Nachfolgestaffel, jedoch werden Fans der ersten Staffel gerne weiterschauen und nach einem schwächeren Beginn letztlich belohnt. Denn beide Staffeln erzählen am Ende sehr stimmige und teilweise fulminante Geschichte. Ich möchte „Stranger” jedem empfehlen, der Krimifan ist, aber mal ein anderes Setting benötigt, um den Funken wieder zu entfachen. Eine Serie, die bei mir auch einen Stein im Brett hat, weil es meine erste koreanische Serie im Originalton war.



