Squid Game – Lohnt sich der blutig-böse Welterfolg? Review ganze Serie

Zumindest Staffel 1 weiß inhaltlich zu überzeugen. Der Hauptfokus der überraschenden Genremelange liegt vor allem auf den großen Dramen, die dank einer hochgradig absurden Ausgangssituation gekonnt ausgespielt werden können, da ständig das Leben der Charaktere auf dem Spiel steht. Im Zentrum steht nämlich das titelgebende Squid Game, wofür in Südkorea eine ganze Reihe von hoch verschuldeten Menschen angeworben werden. Sie werden eingeladen zu einem Spiel, an dessen Ende es möglicherweise sehr viel Geld geben könnte. Natürlich sagen viele zu, so auch Gi-Hun (Lee Jung-jae), denn zunächst ahnen die Teilnehmenden noch nicht, dass die Spiele mit Reality-TV-Vibe nur Fassade sind für ein allzu blutiges Erlebnis. Denn die Kandidaten und Kandidatinnen müssen sich in tödlichen Kinderspielen messen, während sie von mysteriösen Unbekannten mit Masken in einer Einrichtung auf einer Insel beaufsichtigt (und ermordet) werden, die das Spiel durchführen. 

Clevererweise gibt es ab Folge 2 auch noch einen weiteren Handlungsstrang, der die Hintergründe dieser Gruppe aufdecken will. Highlights bieten die verschiedenen Spiele, die neue Abgründe der Menschen aufdecken und für große Gefühle und Dramen sorgen. In gewisser Weise ist die Handlung natürlich vorhersehbar, sie bringt aber dennoch immer wieder überraschende Momente hervor und baut seine Charaktere gut auf, so dass sie einem ans Herz wachsen – oder man die größten Abstände zwischen sich und diese unendlichen Bastarde bringen möchte. Darüber hinaus schwebt über den Spielen und den meist nachvollziehbaren Charakterentscheidungen immer die Frage: Wie würde ich in dieser Situation handeln?

„Squid Game” ist letztlich eine blutige und brutale Battle Royale Variante, die mit Spielshows und voyeuristischem TV verknüpft wird. Die Serie strotzt nur so vor deutlicher Kapitalismus-, Unterhaltungsmedien- und Gesellschaftskritik, die auf der Metaebene auch Netflix und uns Zuschauer kritisiert, denn wir schauen uns das Abmetzeln der Armen, das Ermorden für Unterhaltung letztlich an. Diese Metaebene wird nie verloren und durch die VIPs manchmal allzu deutlich gezeigt, generell ist Squid Game in seiner Aussage keinesfalls subtil. Auch dass der Schöpfer Hwang Dong-hyuk eigentlich nach einer Staffel die Geschichte zu Ende erzählt hatte, dann aber 2 Staffeln 2024 und 2025 nachgeschoben wurden, zahlt auf die Metaebene ein. Wirklich gebraucht hätte es alles nach Staffel 1 nicht mehr.

Die Darsteller, die einnehmende Musik und die hochwertige Produktion helfen eine gewisse Glaubwürdigkeit zu erzeugen, vielleicht mit Ausnahme der 7. Folge (S1), in der die Qualität der englischen Dialoge und Schauspieler doch zu wünschen übrig lässt. Visuell ist die Serie oftmals eine Wucht mit feinem Gespür für ausdrucksstarke Bilder und Gewaltspitzen, die richtig schmerzhaft und emotional werden können. Insgesamt finde ich es bemerkenswert, dass echte Kulissen und viel Kunstblut genutzt werden. CGI-Effekte sind zwar vorhanden, sie werden aber nicht exponentiell eingesetzt. Das gibt dem Ganzen eine gewisse Erdung, eine realistisch wirkende Konsequenz. Die Murmelfolge 6 (S1) ist das absolute Highlight, mit den letzten 3 Folgen der 1. Staffel war ich dann recht – aber nicht vollends – zufrieden.

Staffel 2 beginnt dort, wo Staffel 1 aufhörte. Die sehr gute erste Folge (von insgesamt 7) leitet stimmig ein und hat den Mut nicht sofort wieder ins Squid Game einzusteigen. Stattdessen möchte Gi-hun (456) mit seinem Geld die Organisation zerschlagen. Er sucht dafür nach dem Anwerber, um diesen zu verfolgen und somit den genauen Ort des Squid Game herauszubekommen. Dafür schart er eine Reihe von Handlangern um sich, doch schon bald sieht er keine andere Option mehr, als selbst wieder teilzunehmen…

Episode 1 (S2) ist stark, gerade alle Szenen mit dem Salesman. Ab Folge 3 nähert sich Staffel 2 wieder der ersten Staffel und dem Kernthema an: Kinderspiele und dabei ermordet werden. Gi-hun versucht seine Kenntnisse zu nutzen, um anderen zu helfen, doch das gelingt nicht lang. Die Spiele selbst sind wieder recht gefällig, aber keines kommt an die Gravitas des Murmelspiels heran. Das Rondell leitet gut über in den letzten Teil dieser Staffel, in denen die Grabenkämpfe deutlich werden. Ohnehin haben die Abstimmung und Gruppenbildung nach jedem Spiel einen deutlich größeren Anteil als zuvor. Ständig schwebt die Frage, ob man mit dem aufgeteilten Teilpreisgeld nach Hause gehen sollte, oder man weiterspielt und riskiert dabei zu sterben. Dadurch tritt die Staffel in der Mitte etwas auf der Stelle und wiederholt sich, der negative und polarisierende Abschluss ist konsequent und gut. 

Insgesamt ist Staffel 2 nicht so gut wie Staffel 1, aber immer noch gut mit einigen harten Szenen und einem größeren Fokus auf Elend und Gräueltaten. Besonders schön finde ich den Meta-Aspekt, dass sich Creator Hwang Dong-hyuk der Erwartungshaltung oder der einfachen Variante entzog: Den Leuten mehr davon zu geben, was sie haben wollen. Brot und Spiele, Spiele auf Leben und Tod. Stattdessen biegt die Staffel vorher in Richtung Rebellion ab und widerspricht dem Zuschauerinteresse und vermutlich auch dem von Netflix. Wenn man die Metaebene bei Squid Game mitdenkt, trägt das zum Sehvergnügen positiv bei.

Staffel 3 schließt inhaltlich sofort an den negativen Cliffhanger der vorherigen Staffel an und schnell wird deutlich, dass statt einer 2. Staffel mit 7 Folgen und einer 3. Staffel mit 6 Episoden, sicherlich auch 10 Folgen in einer gebündelten Staffel gereicht hätten. Denn inhaltlich gibt es keinen Grund für die Splittung. Die Geschichte wird innerhalb und außerhalb des Squid Game temporeicher weitererzählt, viele Handlungsstränge spitzen sich zu. Die 2. Episode ist das Highlight der 3. Staffel und bietet eine brutalere, archaische Version des Murmelspiels, die endlich wieder das damalige Gefühl aufleben lässt. Die großen Emotionen gelingen aufgrund der sorgsam gespielten Drama-Klaviatur, großen Konsequenzen und den klassisch funktionierten Beziehungskonstrukten, viele der Figuren sind leider kaum mehr als Klischees. Die zunehmende Brutalität der Spiele bedeutet eine stimmige Entwicklung für die Serie, auf der Metaebene und auch innerhalb der Welt von Squid Game. Ob es den Kunstgriff des CGI-Babys und die größere Screentime für die langweiligen VIPs so braucht, steht auf einem anderen Blatt. Genauso entwickelt sich die Handlung sehr klassisch und in ihrer Gänze vorhersehbar, auch wenn einige kleinere Wendungen die Geschichte interessant halten. Natürlich wirkt das Geschehen im Verlauf immer konstruierter und etwas hingebogen, was in einem Ende mündet, dass viele enttäuscht zurücklassen wird. Ich empfand es hingegen als äußerst stimmig, vor allem in Anbetracht der Metaebene.

Denn generell ist für mich die Metaebene von Staffel 2 und 3 besser gelungen als der Inhalt allein. Ein Hauptcharakter, der das System von innen umstürzen möchte, zur Rebellion aufruft, desillusioniert zurückkehrt, sich durchschleift in Verbindung mit diesem bitterbösen Ende, lässt mich großen Respekt vor Hwang Dong-hyuk entwickeln. Es wäre ein Leichtes gewesen der Zuschauerschaft einfach mehr Squid Game Staffel 1 zu bieten: Kreative Spiele, große Schicksale, emotionales Drama, Gewalt. Dies hätte man noch einige Staffeln mit stets neuem Cast durchziehen können, die bestbewerteten Folgen der Staffeln zeigen, dass genau diese Melange bei der Masse an Zuschauern am besten ankommt. Doch stattdessen entschied er sich für einen kolossal anderen Weg der Rebellion und der Resignation. Auf der Metaebene gewinnt eben Netflix und das verdeutlicht auch dieses Ende.

Letztlich kann man von „Squid Game” auch nur die gute und sehr unterhaltsame 1. Staffel schauen. Für Staffel 2 und 3 braucht man schon die Metaebene, um den Sehgenuss zu maximieren. Ich fand den Abschluss der Serie letztlich sehr gelungen, verstehe aber auch, dass dieser nicht bei allen ankommt. Ich bin mit „Squid Game” im Ganzen somit absolut zufrieden.

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