„Severance” ist eine wilde Mischung aus Arbeitsplatz-Drama mit Verschwörungsthriller-Vibes und etwas Dramedy in einem dystopischen Gewand mit vielen Mystery-Elementen. Dabei mixt die Serie bekannte Formeln gekonnt zusammen. Das ergibt eine einzigartige Genremischung, die man so noch nicht gesehen hat. Ich möchte die recht ruhig erzählte Serie mit zahlreichen Absurditäten und Highlights vollumfänglich empfehlen, man sollte aber gut mitdenken.
Der inhaltliche Clou der Serie ist, dass Menschen sich „severn” lassen können. Das bedeutet, dass sie sich einen Chip in den Kopf implantieren lassen, der für eine ganz neue Arbeitserfahrung sorgt. Denn die Menschen gehen morgens zur Arbeit zu ihrem Arbeitgeber „Lumon”, dort durchschreiten sie eine Schleuse und sind plötzlich ein anderer Mensch. Sie sehen weiterhin gleich aus, haben allerdings vollkommen andere Erinnerungen, sie sind im wahrsten Sinne des Wortes nun eine gespaltene Persönlichkeit. Denn fortan gibt es einen „Innie” und einen „Outie”, die Arbeitspersönlichkeit wird von der normalen Person außerhalb der Arbeit getrennt. Die „Innies” haben keine Erinnerungen und kein Bewusstsein über das Leben außerhalb. Die Logik: So können sich die Mitarbeiter voll auf ihre Arbeit konzentrieren, während die „Outies” nie wieder arbeiten müssen und nur noch Freizeit haben. Dies bildet das verrückte, jedoch ausgesprochen originelle Set-up für eine hervorragende Serie.
Im Zentrum steht Mark (Adam Scott), der in großer Trauer nach dem Tod seiner Frau lebt und deshalb im Severance Programm eine Möglichkeit sieht überhaupt zu arbeiten und sein Leid besser zu ertragen. Sein „Innie” versucht währenddessen die neue Mitarbeiterin Helly R (Britt Lower) in seine vierköpfige Abteilung einzugliedern, doch Helly sagt ihr kryptischer Job gar nicht zu, sie versucht ihren „Outie” zur Kündigung zu bewegen. Das Team der 4, das noch aus dem old schooligen Irving (John Turturro) und dem lustigen Dylan (Zach Cherry) besteht, wird wiederum von Harmony Cobel (Patricia Arquette) und Seth Milchick (Tramell Tillman, großartig) überwacht. Während man sich als Zuschauer sehr lange fragt, welche Arbeit die Mitarbeiter dort eigentlich erledigen, wird schnell deutlich, dass Lumon Industries kein vernünftiger, netter Arbeitgeber ist, sondern Dreck am Stecken haben könnte. Was sich aus dieser Ausgangssituation alles entwickelt, ist ganz seltsam aber auch fantastisch, ich möchte nicht mehr verraten. Es gilt: Anschnallen und Mitdenken, es wird absurd.
Staffel 1 beginnt herrlich skurril und baut langsam und bedächtig seine Welt auf in einem unverkennbaren, klinischen, sauberen, symmetrischen Stil, der teils an Wes Anderson erinnert, aber ohne Farben. Generell sind die Machart und die Produktion absolut grandios. Angefangen beim Intro, über die zahlreichen visuellen Ideen und die starke, symbolische Bildsprache, bemerkt man die Qualität vor und hinter der Kamera. Dafür verantwortlich sind der gute Cast und der größte Star, Ben Stiller, der als Regisseur den Großteil der Folgen inszeniert. Der Anfang der 9-teiligen ersten Staffel ist sehr interessant, die Mitte wird etwas langsamer erzählt (Ausnahme Folge 4), das Ende ist super. Die letzten 3 Episoden konnten mich komplett überzeugen, gerade die letzte Folge ist großartig, da sie viel zum Worldbuilding beiträgt und überraschend viele Fragen beantwortet.
Staffel 2 drosselt zu Beginn leider etwas das Tempo. Doch schon bald wird wieder Fahrt aufgenommen, was zunächst in einer erinnerungswürdigen 4. Folge gipfelt, bei der das Setting in die schneebedeckte Wildnis wechselt und Irving seinen großen Auftritt hat. Darüber hinaus gibt die großartige Folge 7 endlich tiefere Einblicke in die Severance-Abteilung, sie wird nur noch von einer fantastischen letzten 10. Folge getoppt, die Memes erschaffen hat und an die ich mich lange erinnern werde. Ein Meisterwerk von Ben Stiller, in dem so viele schöne Hommagen und Ideen eingebaut sind. Die 8. Folge ist wohl die schwächste, sie hätte etwas schneller und tiefgreifender erzählen dürfen, ist aber auch nicht so schlecht, wie sie das Web darstellt. Generell hat die 2. Staffel mehr Ausreißer nach oben als die erste und auch das gesamte Pacing ist etwas stärker. Inhaltlich werden zwischenmenschliche Beziehungen vertieft, doch auch überraschend viel des Mysteriums rund um Lumon und das Severance Programm wird zum Ende der 2. Staffel aufgeklärt. Der Abschluss hätte mit leicht anderem Ende sogar großartig als Serienende funktioniert, so hoffe ich, dass man noch genügend Pulver für eine 3. Staffel hat. Viel mehr als 4 Staffeln sollten es aus meiner Sicht allerdings nicht werden, so dass man die Handlung nicht verwässert.
Ich vermute, dass „Severance” einigen zu langatmig sein wird, manchmal wird nur durch Gänge gegangen und zu den bisherigen Mysterien gesellen sich weitere hinzu, statt alte zu beantworten. Aber wer vom Serienmarkt mit den immer gleichen Geschichten übersättigt ist, findet in „Severance” endlich etwas Neues in einem visuell sehr ansprechendem Gewand. Ich war von Anfang an in den Bann gezogen und emotional involviert. Für mich ist Staffel 2 sogar noch einen Ticken besser als die 1. Staffel, da das Tempo besser ist, aber grundsätzlich bewegen sich beide Staffeln auf einem absoluten Topniveau. Ich hoffe, dass dies gehalten werden kann, „Severance” ist auf dem besten Weg in den Serien-Olymp.



