„Sense of Tumour” ist ein belgisches Liebes- und Familiendrama vor medizinischem Hintergrund mit spürbaren Comedy-Elementen. Denn Hauptfigur Tristan (Maarten Nulens), der bisher von der Sonne geküsst und vielversprechender Medizinstudent war, erhält die folgenschwere Krebsdiagnose. Nun bröckelt sein perfektes Leben und genauso das Leben seiner Eltern. Aber schon bald findet Tristan Halt bei seinem Mentor und dessen Enkelin (Marthe Schneider, sehr gut), mit der er eine Beziehung beginnt.
Daraus entwickelt sich eine relativ klassische Krebsgeschichte. Der junge Mann, der vorher ständig feierte, dem alles gelang und der nun ausgebremst wurde und in Depressionen verfällt. Doch natürlich gibt es die Möglichkeit auf Rettung und eine Romanze am Horizont, die ihn wieder aufrichtet. Warum seine Eltern so viel Screentime erhalten, verstehe ich weniger, denn letztlich sind diese Handlungsstränge eher unspannend. Die Dramaturgie ist vorherbestimmt, aber die Haupthandlung kann dennoch überwiegend überzeugen. Die Serie kann in ihren medizinischen Aspekten sogar anteilig brillieren, der Krebs, die Behandlungen und wie das Prozedere abläuft, wird glaubwürdig (soweit ich das beurteilen kann) dargestellt. Das für mich emotionalste an der Serie sind die echten Patienten am Ende jeder Folge, die ihre wahren Geschichten kurz erzählen. Die Serie ist darüber hinaus super produziert und gut inszeniert – gerade für eine belgische Serie ohne riesiges Budget, war ich überrascht, wie viel Witz und kreative Ideen in der Inszenierung und im Schnitt präsentiert werden.
Bisher klingt alles nach einer Top 100-Serie, oder? Doch das ist „Sense of Tumour” leider nicht, denn ich habe einige Probleme mit der Serie. Zunächst muss ich die Klischee beladenen Charaktere und das Wiederkäuen von so ziemlich jedem klischeehaften Handlungsstrang, den man sich nur so vorstellen kann, erwähnen. Darüber hinaus ist Hauptfigur Tristan „ein selbstverliebtes, arrogantes Arschloch”, wie seine Freundin am Ende sagt. Sie meint, dass er zu Beginn so war, aber mittlerweile sei er ganz anders. Das kann ich nicht bestätigen. Immer wenn es ihm gut geht, ist er ein Arsch. Wenn es ihm schlecht geht, ist er ein kompletter Arsch, versinkt in Selbstmitleid und beleidigt seine Freundin, die schon kurz danach ohne jegliche Aussprache oder Entschuldigung von Tristans Seite wieder mit ihm Sex haben will. Generell will jeder mit Tristan Sex haben, er ist eine geschriebene Figur, die gefühlt nur in seltsamen Männerfantasien leben kann. Jede Frau will ihn, jede Nacht eine Andere, wenn er will. Wenn er die Frauen beleidigt, egal, sie kommen sofort wieder, weil er so wunderschön ist und tolle Augen hat. Tristan ist wahnsinnig toxisch und ein kleiner Stalker, ich soll aber mit ihm mitfühlen… Schwierig.
Generell sind alle Männer bis auf den krebskranken Opa in der Serie entweder sex- oder fliesenbessene Unsympathen. Tristans Rugby-Freundesgruppe besteht aus etwa 25-Jährigen mit den Gehirnen pubertärer 14-Jähriger. Nicht nur im Partysetting, sondern auch im Alltag gibt es bei dort immer nur die Themen Alkohol und Sex – es reicht dann auch mal. Letztlich steht und fällt eine Serie mit ihren Charakteren, und wenn alle Männer grauenvoll sind und man die Frauen nicht nachvollziehen kann, dann funktioniert das für mich nicht richtig. Insofern bin ich etwas sauer. Denn das Grundthema und viele medizinische Sequenzen sind großartig, genauso wie die Inszenierung und Regie. Aber ich verstehe wirklich nicht, warum man eindimensionale Klischeecharaktere jeden ausgetretenen Pfad gehen lässt und warum die Hauptfigur, mit der ich mitfühlen soll, so eine Arschkrampe ist.
Deswegen ist „Sense of Tumour” für mich letztlich eine Miniserie der verpassten Chancen. Sie ist sehenswert aus vielen Gründen, aber die Probleme mit den Figuren und ihrem Charakter sind für mich letztlich so groß, dass ich darüber nicht hinwegsehen kann. Insofern ist die Miniserie polarisierend, einige werden nicht so sehr von den Charakteren genervt sein wie ich, andere werden das einfach nicht so hoch gewichten. Ich kann die Serie aufgrund ihrer Makel leider nicht universell empfehlen, obwohl Thema und Machart sehr gut sind.



