Neon Genesis Evangelion – Ist der Anime-Mechaction-Drama-Klassiker zeitlos? Review ganze Serie

Der Anime „Neon Genesis Evangelion”, der zwischen 1995 und 1996 veröffentlicht wurde, gilt als absoluter Klassiker und einer der einflussreichsten Animeserien überhaupt. Der wilde Mix aus Sci-Fi-Dystopie mit Mech-Kampfmaschinen und psychologischem Drama, das die Probleme seiner Hauptfiguren in dieser harten Welt in den Vordergrund stellt, war eine wegbereitende Serie für die Anime-Zeit danach. „Neon Genesis Evangelion” erschloss weltweit ein größeres Publikum für Animes (Erwachsene), doch ist die Serie zeitlos und funktioniert heute noch oder hat man nur mit einem nostalgischen Blick große Freude an der Serie?

In 26 Episoden, die jeweils rund 25 Minuten lang sind, erzählt die Klassiker-Serie eine tragische, weltumspannende Sci-Fi-Fantasy Geschichte. Im Jahr 2001 wurde beim sogenannten „second impact“ rund die Hälfte der Weltbevölkerung (damals noch drei Milliarden Menschen) getötet. Die Erdachse kippte, was zu zahlreichen Naturkatastrophen, einem Anstieg des Meeresspiegels und Kriegen um die verbleibenden Ressourcen untereinander führte – was man durchaus als Metapher für den Klimawandel verstehen darf. Auch wenn die Öffentlichkeit glaubt, dass ein Meteorit für diese Katastrophe verantwortlich war, handelt es sich eigentlich um sogenannte „Engel”, speziell den ersten Engel mit dem Namen „Adam”, der in der Antarktis gefunden wurde und an dem Forscher folgenschwere Experimente durchführten. Adam ist ein außerirdisches Wesen, das auf der Erde neue Vertreter seiner Art erschaffen sollte, nach dem „second impact” greifen er und seine Engel-Kollegen die Menschheit immer wieder an. Dem entgegen stellt sich die Organisation „NERV”, die Kinderpiloten ausbildet um in „Evangelions” gegen die Engel zu kämpfen. Diese „Evangelions” sind den Engeln nachempfundene, riesige Maschinen, die von einem kleinen Piloten direkt aus dem Mech heraus gesteuert werden müssen.

Im Zentrum der Serie steht im Jahr 2015 der 14-jährige Shinji Ikari, dessen Mutter vor langer Zeit starb und der nun von seinem Vater, einer wichtigen Figur im Kampf gegen die Engel, nach Neo Tokyo-3 geholt wird, um selbst ein Kinderpilot zu werden und den Evangelion 01 zu fliegen. Dafür wohnt er allerdings nicht bei seinem Vater, sondern der NERV-Offizierin Misato Katsuragi, zudem gibt es auch noch Rei Ayanami, die Pilotin von Einheit 00 und später auch Asuka Langley aus Deutschland, die Einheit 02 fliegen soll. Gemeinsam gehen auch alle zur Schule, doch der Kampf um die Rettung der Menschheit steht im Vordergrund.

Die vielschichtige Handlung mit fantastisch-spannender Vorgeschichte, von der immer mal wieder erzählt wird, führt zu einem komplexen Geflecht, bei dem man aufmerksam der Haupthandlung folgen muss, um alles zu verstehen. In der ersten Hälfte der Serie stehen neben Exposition und dem Kennenlernen der Charaktere vor allem viele Actionsequenzen und gut gezeichnete, dynamische Kampfszenen im Mittelpunkt, die allgemeine Stimmung der Serie ist trotz der großen Bedrohung allerdings noch einigermaßen positiv. Obwohl die Charaktere alle ihre eigenen Probleme haben, wirken die Interaktionen untereinander noch recht heiter (und zum Teil etwas nervig). Etwas problematisch ist, dass die Figuren alle keine klassischen Helden sind, sondern alle ihre Makel haben und nicht zwingend liebenswert wirken. Darin verbirgt sich auch ein weiteres Problem, dass ich leider kurz ansprechen muss und in einer verstörenden Szene am Ende der Serie gipfelt. Die dargestellte Sexualmoral wirkt noch sehr nach altmodischem 90er Jahre Anime, die leider auch minderjährige Charaktere sexualisiert. Die Szene am Krankenhaus-Bett hat mich entgeistert zurückgelassen, wie sollte ich danach noch große Sympathien empfinden? In dieser Hinsicht ist „Neon Genesis Evangelion” leider überhaupt nicht zeitlos und ich frage mich, wie auch damals einige Szenen den Cut geschafft haben. Wenn man dieses Thema allerdings ausblenden kann, dann bietet die Serie viel Großartiges, wodurch die Serie heutzutage zurecht als Klassiker gilt.

Denn ab der stärkeren zweiten Hälfte entwickelt die Serie auch philosophische Züge und ab Folge 15 ändert sich auch der Ton von „Neon Genesis Evangelion” durch einige aufgedeckte Geheimnisse aus der Vergangenheit. Die Serie wirkt ab diesem Zeitpunkt schwermütiger, emotionaler, philosophischer und tiefgreifender, das Drama nimmt stark an Fahrt auf. Im Zentrum stehen nun existentielle Fragen und neu erschaffende Figurendynamiken aus denen sich wahnsinnig viel ergibt. Das führt zu vielen emotionalen Szenen und einigen „What the fuck“ Momenten. Die Haupthandlung der Folgen 16-24 fand ich sehr beeindruckend. Doch das Ende ist leider komplett seltsam und für mich enttäuschend gewesen. Dieses Ende und das gesamte Tempo der Serie wurde durch einige unterschiedliche Filme mehrfach umgeschrieben und verändert, die Geschichte wurde stets neu angepasst, ich fokussiere mich aber rein auf die Serie und sah auch keinen der „Korrektur-Nachfolgefilme”. 

„Neon Genesis Evangelion” ist ein wegbereitender Klassiker, der dem Anime auch weltweit zahlreiche Türen öffnete. Für diesen Platz in der Geschichte und auch inhaltlich durch seine starke Mischung von Mech-Kämpfen und philosophischem, tiefgreifenden Drama ist der Klassiker immer noch sehenswert – trotz 4:3 Format ist die visuelle Ebene immer noch stark. Doch gerade die sexualisierten Szenen waren mir immer ein Dorn im Auge, zudem ist das Pacing in der ersten Hälfte der Serie noch etwas schwächer. Daher kann man die Serie auch heutzutage noch gut nachholen, allerdings muss man das ein oder andere Auge zudrücken.

80/100
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