Monster – Geerdeter, großartiger Psychothriller-Anime in Deutschland. Review ganze Serie.

„Monster” ist ein ungewöhnlicher Psychothriller, der ohne Superkräfte auskommt und in der realen Welt spielt, so dass die Geschichte auch als Realverfilmungen problemlos funktionieren könnte. Inhaltlich steht Dr. Tenma im Zentrum, ein begnadeter Chirurg, der 1986 in Düsseldorf arbeitet und gegen den Willen des Klinikdirektors eine Kopfoperation an einem 11-jährigen Jungen priorisiert. Er kann den Jungen retten, doch 9 Jahre später erfährt er, dass der damals gerettete Johann ein serienmordender Psychopath ist. Nun entscheidet sich Tenma seinen „Fehler” von damals zu korrigieren und Johann zu erschießen. Doch dabei gerät er ins Visier der Ermittlungsbehörden. Aufgrund seines Realismus sollten auch Anime-Skeptiker „Monster” eine Chance geben.

Die Manga-Adaption gilt zurecht als eine der erwachsensten und atmosphärisch dichtesten Animes überhaupt. Manga-Schöpfer Naoki Urasawa gelang ein eindringliches Werk, Studio Madhouse („Death Note”, „Perfect Blue”, „One-Punch Man”) übernahm die Anime-Verfilmung in insgesamt 74 Episoden, die Geschichte ist damit abgeschlossen. Visuell ist die Serie für damals auf einem guten Niveau. Sie ist ausdrucksstark gezeichnet, große Animationen darf man im 4:3 Format allerdings nicht erwarten, der Inhalt ist der Star. 2022 wurde eine deutsche Synchronisation für den Anime, der in Japan von 2004-2005 veröffentlicht wurde, nachgeliefert, so dass man „Monster” nun so authentisch wie möglich schauen kann – denn „Monster” spielt überwiegend in Deutschland, die Charaktere haben deutsche Namen und sie sprechen auch logischerweise deutsch miteinander. Auch alle Dokumente und Wegweiser sind auf deutsch verfasst, dabei bin ich gerne bereit den ein oder anderen Rechtschreibfehler zu verzeihen. Denn das Deutschland der 80er und 90er Jahre wird überraschend glaubwürdig dargestellt und darüber hinaus gibt es inhaltlich zahlreiche Berührungspunkte mit der deutschen Geschichte. So steht im Verlauf ein DDR-Kinderheim mit psychologischen, unmenschlichen Experimenten an Kindern im Vordergrund und auch eine Neonazi-Gruppe, die Johann als „Übermensch” für sich reklamiert, wird zum Thema, als sie versuchen das türkische Viertel in Frankfurt anzuzünden. Man merkt schnell: „Monster” ist keine Kinderserie, sondern beschäftigt sich mit den harten Themen, es gibt zahlreiche Morde, grauenvolle Experimente an Kindern, Alkoholismus, später viel Blut und eine ambivalente Frage, wer das wahre Monster ist.

Die Serie baut zahlreiche Charaktere und unterschiedliche Handlungsstränge auf, die sich nach und nach zu einem vielschichtigen, stimmigen Gesamtbild zusammenfügen lassen – wenn man aufmerksam zuschaut und mitdenkt. Anfangs wusste ich noch gar nicht, wohin die Serie die Zuschauer führen will, bereits die ersten 6 Folgen sind extrem temporeich erzählt und verändern den Status Quo sehr plötzlich. „Monster” beginnt als Arztserie, der aus Japan nach Deutschland gekommene Dr. Tenma ist Idealist und gerät in Konflikt mit dem Klinikdirektor und Vater seiner Verlobten. Nach seiner folgenschweren Entscheidung und drei Morden in seinem direkten Umfeld, gerät Tenma ins Visier des fast obsessiven BKA-Ermittlers Runge (der immer in der Luft tippt, wenn er sich Dinge merkt), wodurch das Genre nach einem Zeitsprung von 9 Jahren schnell in den Psychothriller- und Psychokiller-Bereich wechselt. Dabei stehen Ermittlungen, die Suche nach der Wahrheit und den Ursprüngen des Monster im Vordergrund, insofern kann „Monster” auch mit zahlreichen Krimi-, Mystery- und Dramaelementen punkten. 

Innerhalb der 74 Episoden à 20 Minuten gibt es nur wenige sogenannte „Fillerepisoden”, also Folgen, die die Hauptgeschichte überhaupt nicht vorantreiben, sondern sich nur speziell auf eine Figur fokussieren. Es gibt davon einige wenige, aber auch diese zahlen letztlich auf das Gesamtwerk ein, da viele dieser Charaktere später nochmal eine Rolle spielen. Dennoch sind natürlich nicht alle Episoden von „Monster” hochspannend. Im Kern hätte die Serie ihre Hauptgeschichte auch etwas kürzer erzählen können, aber den Schöpfern gelingt es stets neue, interessante Charaktere zu etablieren, die auch teilweise kurz die Position des Hauptcharakters übernehmen, da Tenma anderweitig beschäftigt ist. Ein so breites Ensemble von so vielen unterschiedlichen, sehr interessanten, vielschichtigen Charakteren, die alle noch zusätzlich Mysterien aus ihrer Vergangenheit verbergen, ist sehr ungewöhnlich, aber auch die große Stärke von „Monster”. Viele der Charaktere haben mich auch emotional berührt, ich werde Grimmer immer in meinem Herzen tragen.

Man kann die Handlung durchaus in animetypische „Arcs” (Handlungsbögen) einteilen, der erste, der im Kinderheim 511 mit all seinen grausigen Enthüllungen und dem neuen Charakter Dieter endet, ist beispielsweise fantastisch. Die Schubart Arc fand ich etwas schwächer, den Showdown rund um Braun überragend, die Episode, in der das „Monster ohne Namen” als Märchen erzählt wird, ist großartig. Die Geschichte um Ermittler Suk ist etwas schwächer, doch die Vergangenheit und Gegenwart von Grimmer und seine Beziehung zu den Waisenkindern sind einfach unfassbar tragisch und gleichzeitig schön. Doch im Zentrum steht natürlich die faszinierende Hauptgeschichte um Johann und wer sich für ihn, seine Ursprünge und den Mord an ihm verantwortlich fühlt. Dieser Teil kann auch überwiegend glänzen – zumindest bis zum Ende. Am Ende nimmt die Serie richtig Fahrt auf, die letzten 8 Episoden sind temporeich und fügen viele der Fäden gekonnt zusammen, alles, was in Ruhenheim passiert ist verrückt, absurd und zutiefst grausam zugleich. Doch mit dem allerletzten Schlusspunkt der Serie bin ich leider nicht ganz zufrieden. Natürlich wirft das Ende hervorragende Fragen rund um das Monster und dessen wahre Identität auf, doch dennoch empfand ich das letzte Bild als etwas zu ambivalent – nachdem es mir noch kurz zuvor in einer atemberaubenden, enthüllenden Szene kalt den Rücken herunterlief. 

Viele werden am Ende darauf warten, dass ihnen nochmal alles vorgekaut wird, was man an Erkenntnissen über die gesamte Serie tropfenweise erzählt bekam, doch das passiert nicht. Das finde ich sogar gelungen, wenn man aufmerksam war, kann man sich die Geschichte in der Vergangenheit komplett und logisch zusammensetzen. Auch Johanns heutiger Motivation kann ich noch weitgehend folgen, doch den Entscheidungen in der Folge des Showdowns nicht mehr. Somit war ich mit dem Ende leider nicht ganz zufrieden, dennoch war ich bis dahin vollends gefangen in der hervorragend gebauten Welt von „Monster”, die für Deutsche den Bonus des Settings rund um Düsseldorf, Heidelberg, München und viele andere Städte bringt. Ich tauchte tief ein in diesen epochalen Psychothriller, der mit der Zeit inhaltlich immer fieser wird und neue liebenswerte oder hassenswerte Figuren hervorbringt. Die ersten 12 Episoden und große Teile des Rests sind absolut großartig, in Ruhenheim wollte ich vor Spannung kaum blinzeln, das Ende fühle ich aber leider nicht so ganz. Deswegen bleibt „Monster” der Sprung auf den Anime-Thron für mich knapp verwehrt. 

Ich möchte „Monster” dennoch sehr empfehlen, die dichte Atmosphäre und das Puzzle, das sich langsam zusammensetzt, sind ganz großartig. Auch die aufgeworfenen Fragen regen zum Mitdenken an. Ein überzeugender Anime, der ziemlich genau meinen Geschmack trifft, weil er sehr geerdet wirkt und nicht von großen Superkräften und Fantasiewelten erzählt. Deswegen ist die Serie perfekt für Animefans und Zuschauer, die bisher wenig mit Animes anfangen können. „Monster” könnte ein idealer Einstiegs-Anime sein. In Deutschland ist „Monster” trotz seines Deutschland-Settings immer noch ein Geheimtipp. Umso besser, dass man ihn jetzt auf deutsch nachholen kann!

86/100
Total Score
Nach oben scrollen