I may destroy you – Von Consent, Cancel Culture und sexuellem Fehlverhalten. Review Miniserie

„I may destroy you” ist die zum Teil autobiografische HBO-Serie von Michaela Coel, in der sie auch selbst die Hauptrolle spielt. Die 12-episodische Miniserie thematisiert das Leben von Arabella und ihrer Clique (20 somethings) in London. Dabei steht neben Arabellas Karriere als Schriftstellerin vor allem die Thematik des Consents und des sexuellen Missbrauchs/Fehlverhaltens im Vordergrund.

Daher möchte ich zu Beginn eine Triggerwarnung aussprechen, denn diese Serie thematisiert wichtige, aber auch unangenehme Themen. Konkret geht es um Vergewaltigung, Stealthing, Cancel-Culture, falsche Verdächtigungen, Polizeiversagen und weiteres Fehlverhalten im sexuellen Bereich. Arabellas Geschichte steht dabei im Fokus, die Geschehnisse um ihren homosexuellen Freund Kwame (Paapa Essiedu) sind aber nicht minder interessant und nehmen einen größeren Teil ein.

Insgesamt (und soweit ich das einschätzen kann) wirkt die Serie authentisch, was vor allem an den glaubwürdigen Dialogen und der sorgsamen Darstellung der sexuellen Themen liegt. Die Schauspieler wirken recht laienhaft, was aber der Authentizität meist zuträglich ist. Nachdem das Ende der ersten Folge und die zweite Folge den ersten großen Plotpunkt gekonnt präsentieren, driftet die Miniserie in der Mitte etwas ab. In diesem Teil wirkt „I may destroy you” eher wie eine Art Potpourri, wie eine Checkliste, was man noch alles an sexuellem, rassistischem oder anderem Fehlverhalten abhaken muss. Einige Folgen funktionieren dabei sehr gut, andere weniger. Zudem gibt es auch Folgen, in denen Arabella stark ausschert und die Themen social media oder Klimaerwärmung abgehandelt werden. Dazu werden im Kern korrekte Aussagen getroffen, aber das fügt sich leider nicht so gut ins Gesamtbild ein und wird auch innerhalb einer Folge zumeist komplett abgehandelt.

Letztlich sollte man nach der ersten Folge keinen Krimi/Thriller nach dem Motto „Wer war es“ erwarten. Diese Frage schwebt zwar über den Dingen, aber im Kern geht es um die Leben von Arabella und ihren Freunden und wie diese mit schlimmen Situationen umgehen. Problematisch und gleichzeitig clever ist, dass alle Charaktere auch ihre Makel haben, nervig sein können und vor allem auch heftiges Fehlverhalten (ich nenne es mal so, andere werden dafür stärkere oder weniger starke Ausdrücke haben) gegenüber ihren Freunden oder anderen Menschen an den Tag legen. Dadurch ist eigentlich nur eine Figur grundsympathisch. Die fehlende Sympathie für viele Charaktere ist beim Ansehen etwas hinderlich, wenn ich darüber nachdenke, ist dies aber eine schlaue Idee, um die viel thematisierte Ambivalenz weiter hervorzuheben. Insgesamt ist das „I may destroy you” schwer einzuschätzen und ich glaube die Bewertung fällt für viele sehr subjektiv aus. Ich kann es komplett verstehen, wenn die Serie einen voll trifft und man immersiv in die Themen und die Welt der Protagonisten hineingezogen wird, ich verstehe aber auch, wenn man eher distanziert zuschaut und nicht mitgerissen wird. Ich hätte es besser gefunden, wenn der Fokus mehr auf den Kernthemen gelegen hätte, weil ich so ab und an innerhalb der Folgen etwas den roten Faden vermisste.

Was für mich aber feststeht ist, dass die Miniserie sehr clever konzipiert ist und wichtige, aktuelle Themen schlau behandelt. Diese Cleverness und der Wille zur Kreativität zeigen sich besonders in der großartigen letzten Episode. Denn hier werden der Zuschauerschaft mehr oder minder 3-4 Enden präsentiert und man kann daraus wählen, welches am besten gefällt. Dabei wird zwar durchaus recht deutlich, welches das „richtige“ Ende ist, ich möchte diesen spannenden Ansatz allerdings ausdrücklich loben.

79/100
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