Die HBO-Dramaserie über den nuklearen Unfall in Tschernobyl 1986 ist die vielleicht beste Miniserie, die je gedreht wurde. „Chernobyl” ist eine Serie, die nah an der Perfektion agiert und das „Glück” hat, dass die Realität bereits so unfassbar war und damit das „perfekte” Vorbild lieferte. Jeder sollte sich die insgesamt nur fünf Episoden ansehen, wer es nicht gesehen hat, verpasst ein wichtiges Stück Seriengeschichte.
Die Serie basiert auf der realen Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vom 26. April 1986. Dabei ist die Serie nicht zu 100% akkurat, erschafft beispielsweise eine Figur der Wissenschaftlerin, allerdings ist überraschend viel tatsächlich passiert. Der absurde Hubschrauberabsturz oder die heldenhaften Bergleute wären unter vielen anderen als Vorgeschmack zu nennen. Eine Serie, die erheblich zum Studium von Wikipedia einlädt und auch zum Ansehen anderer Dokus und Video- und Bildaufnahmen dazu, die es trotz sowjetischer Geheimhaltungsversuche tatsächlich gibt. Die Serie gilt aufgrund ihrer großen Überschneidung zur tatsächlichen Realität teilweise auch als „Dokudrama”.
Zu Beginn der Geschichte beobachten wir Waleri Legassow (Jared Harris), wie er wichtige Audioaufnahmen zur Katastrophe von Tschernobyl aufnimmt, die sich zwei Jahre zuvor ereignete. Offenbar sind diese Aufnahmen brenzlig, weil er sie für die Nachwelt versteckt. Daraufhin erhängt er sich. In der Folge wechselt die Handlung an den Tag des Reaktorunfalls. Eine Explosion ereignet sich, die schwangere Ljudmila (Jessie Buckley) und ihr Mann, ein Feuerwehrmann sehen dies, er eilt zum Unfallort. Im Inneren des Kraftwerks ignoriert der Kontrollraum zunächst Berichte, dass ein Reaktor explodiert sei. Zu groß ist das Vertrauen in die Systeme, zu groß der Unglaube, dass es zu einer solchen Katastrophe bei der „sicheren” Technologie überhaupt kommen könnte. Doch schon bald erleiden die helfenden Feuerwehrleute nukleare Verbrennungen, die Mitarbeiter vor Ort überzeugen sich teilweise sorglos selbst und erleiden die tödliche Strahlenkrankheit. Insgesamt wird deutlich, wie viele Leute in der näheren Umgebung davon betroffen sind. Dennoch wird der Vorfall gegenüber Moskau von den Verantwortlichen heruntergespielt.
Darüber hinaus muss ich nicht sonderlich viel erzählen, die Geschichte nimmt ihren Lauf, den sie auch real nahm. Immer wieder steht die Geheimniskrämerei der Sowjets und Entscheidungsträger im Widerspruch mit den Wissenschaftlern und der tatsächlichen Realität. Es zeigt sich, wie Propaganda in einem der schlimmsten Fälle wirken kann: Wenn jeder wirklich glaubt, dass man großartig, unantastbar und fehlerlos ist, dann weiß auch niemand, wie man auf Probleme und Fehler reagiert, weil es diese formell eben nicht gibt. Menschen, die nicht Teil dieses seltsamen Gedankenkonstrukts sind, wird nicht geglaubt, sie werden sogar für ihre realistischen Aussagen gerügt und teilweise verfolgt. Etwas, was mich zutiefst frustriert zurückließ, dessen Darstellung ich aber als überaus gelungen innerhalb der Serie empfinde.
„Chernobyl” ist clever konzipiert und mit einer überragenden Produktion gesegnet, auch im Make-up Bereich (vor allem in Folge 3) weiß die Serie zu überzeugen. Besonders interessant empfand ich, dass sich die Serie auch auf die Zeit danach und die Aufklärung der Reaktorkatastrophe fokussiert, etwas, was man im Gegensatz zur Katastrophe selbst vorher noch nicht alles wusste. Die Serie sieht extrem hochwertig aus und fand die bestmöglichen Drehorte. Das Setting fühlt sich echt an, was vor allem daran liegt, dass sowohl in Litauen als auch im echten stillgelegten Kernkraftwerk Ignalina gedreht wurde, was bautechnisch als „die Schwester von Chernobyl“ gilt. Die Serie versprüht so ein hohes Maß an Authentizität. Dabei helfen die guten Darsteller, die nicht die oberste Darstellerriege verkörpern, aber dennoch stark agieren. Dabei übertrumpfen sie allerdings nie die realen Personen, die sie spielen, was bei einer auf realen Menschen basierenden Serie die Glaubwürdigkeit weiter unterstützt.
Die Serie brilliert durch ihr starkes Pacing. Einzig Folge 4 ist etwas schwächer als der Rest, weil es sich einen Exkurs rund um die Jäger gönnt, der nicht zum sonst hohen Tempo und den anderen sehr wichtigen und aussagekräftigen Szenen passt. Dennoch fügt er sich gut in die Atmosphäre der Serie ein. Die fünfte und letzte Episode erklärt abschließend nochmal auf Laienniveau, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte und wie sehr zahlreiche Entscheider danach die falschen oder gar keine Entscheidungen trafen, so dass die Katastrophe immer größer und schlimmer werden konnte. Spätestens jetzt, aber auch bereits während großer Teile der Serie, sitzt man kopfschüttelnd-ungläubig-wütend vor dem Bildschirm, noch mehr als bei einer fiktionalen Serie.
Durch die einordnende letzte Folge dient „Chernobyl” als hervorragendes Instrument um die Unfähigkeit und Ignoranz von autoritären Staaten zu zeigen und die verheerenden Folgen von Fehlern in Atomkraftwerken. Neben vielen erinnerungswürdigen Dialogen, stechen auf der positiven Seite vor allem die heldenhaften Figuren (& echten Menschen) heraus, die ihr Leben aufs Spiel setzten, um andere zu schützen. Insgesamt muss man „Chernobyl“ als Serienfan gesehen haben. Für mich aktuell (2025) die beste Miniserie des 21. Jahrhunderts.



