Die erste europäische HBO Serie (HBO Nordic) namens „Beforeigners” bringt einen wilden Genremix aus Zeitreisen und klassischer Krimihandlung. Hinzugefügt wird das typische „fish out of water“-Prinzip (Leute in für sie ungewöhnliche Situationen reinwerfen) und eine recht offensichtliche Parabel auf die Flüchtlingsthematik. Die spannende, interessante Prämisse kann zu Beginn überzeugen, die dargestellte Welt und das Worldbuilding sind allerdings stets stärker als die dargestellten Kriminalfälle.
Konkret tauchen im Norwegen der heutigen Zeit auf einmal eine ganze Reihe von Menschen unvermittelt aus dem Wasser auf, sie scheinen aus dem Meer zu steigen. Schon in den ersten 10 Minuten wird deutlich, dass es sich um Zeitreisende handelt, die aus drei verschiedenen Zeitepochen (Steinzeit, Mittelalter, 19. Jahrhundert) in die Jetztzeit gereist sind. Scheinbar weiß aber niemand, wie das geschehen konnte. Nach der Prämissenerklärung springt die Handlung noch weitere 7 Jahre in die Zukunft, denn die Serie fokussiert sich fortan vor allem auf die (scheiternde) Integration der sogenannten „Zeitmigranten”. Einige von ihnen leben in Parallelgesellschaften in ihrem alten Stil, andere haben sich an die neue Zeit angepasst. So auch Alfhildr Enginsdottir (Krista Kosonen), die als erste Zeitreisende in den Polizeidienst aufgenommen wird und fortan mit ihrem Gegenwartskollegen Lars Haaland (Nicolai Cleve Broch) zusammenarbeitet. Da trifft es sich perfekt, dass der erste Mordfall die beiden direkt ins Spannungsfeld der Kulturen führt, denn eine Frau mit steinzeitähnlicher Tätowierung wurde ermordet. Handelt es sich um einen gezielten „politischen” Mord an den Andersartigen, den „Zeitmigranten”?
Der Star der Serie ist die Darstellung eines Zusammenlebens mit Zeitreisenden, die sich nun möglichst integrieren sollen, was natürlich nicht allzu leicht ist. Das maximal ungleiche Kommissaren-Duo darf natürlich nicht fehlen und verdeutlicht diese Unterschiede nochmals, auch eine gewisse Comedy entsteht aus den Gegensätzen der Kulturen. Dummerweise hat die Serie einige Probleme in ihrer Charaktergestaltung, da alle Personen recht einfache und wenige Charakterzüge haben. Zudem hinkt die Serie etwas bei dem Kriminalfall selbst, lange fehlen Überblick und ein roter Faden. Zum Ende der nur 6 Folgen der 1. Staffel werden die Zusammenhänge aber deutlich und auch die Beziehungen der Figuren untereinander werden besser herausgestellt. Sogar so gut, dass ich am Ende Interesse an Staffel 2 hatte. Leider ist der Einstieg in die Serie nach der Prämissenerklärung etwas langwierig, aber es wird zum Ende hin besser.
Staffel 2 startet sehr albern und plakativ (was sich durchaus durchzieht und ich so nicht brauche), findet aber deutlich schneller einen recht cleveren Jack the Ripper-ähnlichen roten Faden für seine Handlung. Der Star ist weiterhin das Setting, eine seltsame Geschichte rund um einen ehemaligen König in einer anderen Zeitepoche, der nun social media-Star ist und seine Identität nachweisen möchte, kommt hinzu. Diese Handlungsstränge sind interessant und werden stringent bis zur Mitte der erneut 6-teiligen 2. Staffel erzählt, danach driftet die Handlung völlig ab und landet in der Mystery-Schiene. Die Macher haben offenbar „Dark” geschaut und genossen und versuchen hier in etwas zu wenig Zeit viel Mystery zu pressen, dem etwas der Raum (in Form von Sendeminuten) zum Atmen fehlt. Daher wird man oft mit den Dingen konfrontiert, die man ohne größeren Vorlauf oder Erklärungen einfach akzeptieren muss. Diese Erzählweise kann man mögen, muss man aber nicht. Die letzten beiden Folgen fügen aber viele der vorher aufgeworfenen Themen spannend und gekonnt zusammen, die Story dreht dabei völlig ab. Mir hat dieser neue Fokus sehr gut gefallen, aber ich verstehe jeden, der aussteigt, weil es einfach sehr viel ist und man sich weit vom Krimiursprung entfernt. In der zweiten Hälfte der zweiten Staffel begibt sich die Serie de facto in ein anderes Genre und sie wird dadurch definitiv besonderer. Ob man es mag oder nicht.
Ich empfehle „Beforeigners” mal eine Chance zu geben, egal ob als Krimi oder als Zeitreise-Fan. Die kreierte Welt ist spannend, interessant und aktuell, die Charaktere etwas schwächer. Vor allem zum Ende der 2. Staffel wird man allerdings mit viel Mystery belohnt. Schade, dass die Serie (bislang) seit 2022 nicht weitergeführt wurde, obwohl es gerade erst spannend wurde.



