„Attack on Titan” ist eine blutige, emotionale und bitterböse Fantasy-Action-Animeserie, die manchmal auch die Genres der Dystopie und Postapokalypse bedient. Die Serie brilliert mit ihrer spannenden und einzigartigen Welt, zahlreichen interessanten, ambivalenten Charakteren und glaubwürdigen Fehden und Intrigen. Darüber hinaus bietet das visuell ansprechende Epos ein hohes Erzähltempo und kann mit einer hohen Actiondichte sowie der kreativen Geschichte rund um die mysteriösen Titanen überzeugen. Die „Must see”- Animeserie basiert auf einem bekannten Manga, der Regisseur der ersten 3 Staffeln, Tetsurō Araki, führte vorher bei „Death Note” Regie.
„Attack on Titan” ist eine überraschend vielschichtige Serie, die zahlreiche Themen angeht und gekonnt in 4 Staffeln und 89 Episoden beleuchtet. Dabei gibt es auch immer wieder passende Vergleiche mit der realen Welt. Doch von vorne: Hundert Jahre vor dem Einsetzen der Haupthandlung tauchten plötzlich riesige Titanen (Gestalten in Menschengewand in Übergröße) auf und griffen die Menschheit an, um sie zu fressen. Daher haben sich die Menschen hinter mehrere hohe Stadtmauern ins Landesinnere zurückgezogen. Die Titanen können diese Mauern anfangs nicht überwinden. Deshalb wiegt sich die Menschheit, die wie eine Nation von einer Monarchie geführt wird und zeitweise an eine Militärdiktatur erinnert, in Sicherheit – bis das Unvorstellbare geschieht. Eines Tages bricht ein ganz besonderer Titan, der im Gegensatz zu seinen Kollegen intelligent zu sein scheint, durch die Mauer und öffnet sie, schnell sterben unzählige Menschen.
Unsere Hauptfiguren Eren Yeager, Mikasa Ackerman und Armin Arlert sind während der Katastrophe noch Kinder und werden von dem Titanenangriff traumatisiert. Dennoch entflammt vor allem in Eren der Wunsch Rache an den Titanen zu nehmen. Die folgenden 5 Jahre werden temporeich und kurz erzählt, die Gruppe wird zu Rekruten, militärisch ausgebildet (vor allem im 3D-Manöver, der seilartigen Kampftechnik gegen die Titanen, wie Spiderman) und soll sich am Ende entscheiden, ob sie der Militärpolizei im Inneren (sicherer Job, meiste Macht), der Mauergarnison (Verteidigung) oder dem Aufklärungstrupp (ultra gefährlich, Operationen außerhalb der Mauer) anschließt. Doch das ist nur das Setup für so viele unvorhergesehene Dinge, die bereits in der ersten Staffel geschehen und die ich nicht spoilern will. Nur so viel: „Attack on Titan” tritt nicht auf der Stelle, sondern schafft permanent neue Realitäten und überrascht durch zahlreiche Twists. Sei es im menscheninternen Kampf – bei denen auch die Themen Religion, Angst, Flüchtlinge, Ausgrenzung, Hungersnot oder die Macht der Wirtschaft/Händler im Vordergrund stehen – oder in den zahlreichen Schlachten gegen die Titanen. Die Titanen werden immer absurder und die mysteriöse Entstehungsgeschichte der Titanen nimmt einen großen Platz ein. Manchmal überschlagen sich die Ereignisse und man muss einige neue Realitäten einfach akzeptieren und gedanklich der immer verrückter werdenden Geschichte folgen. Ich hätte in Staffel 1 niemals geglaubt, dass sich die Handlung am Ende in solche Sphären begibt.
Die Geschichte rund um viele Charaktere mit deutschen Namen braucht ein paar Episoden, um richtig Fahrt aufzunehmen, präsentiert dann aber bereits früh tiefgreifende Twists. Die Serie hat fast keine „Fillerepisoden”, stattdessen geht es stets vorwärts, häufig actionreich. Das Pacing ist eine der größten Stärken, denn trotz einer so großen Anzahl von Episoden wird es nie langweilig und viele Nebengeschichten werden im weiteren Verlauf der Handlung wieder relevant. Das Charakterensemble wird stetig spielend leicht erweitert, auch die neuen Charaktere sind zumeist interessant und helfen dabei die Welt noch glaubwürdiger und greifbarer werden zu lassen. Visuell ist die Serie meistens stark, ziemlich brutal, teilweise sehr emotional und pathetisch. Die Inszenierung ist auf einem sehr hohen Niveau, die Serie wird gleichzeitig wie ein gutes Charakterdrama und eine Actionserie präsentiert, zudem kann die Serie sich visuell austoben im Vergleich zu Realserien. Auch die Konsequenz der Serie ist beeindruckend. Innerhalb der ersten 10 Folgen sterben 250.000 Menschen (20% der Bevölkerung), man sieht den Tod zahlreicher Figuren, die Opferzahlen werden im Verlauf nicht geringer. „Attack on Titan” ist nichts für schwache Nerven oder Zartbesaitete, zeitweise gibt es berechtigte Triggerwarnungen vor den Episoden.
Staffel 1 trifft den düsteren, bitteren Ton gekonnt und überzeugt durch Actionmomente und das starke Worldbuilding. Staffel 2 widmet sich vollends einem dynamischen, spannenden Kampf, Staffel 3 brilliert vor allem in der 2. Hälfte mit grandiosen Momenten – sowohl in den Schlachtszenen, als auch in den alles verändernden neuen Erkenntnissen. Die abschließende 4. Staffel kann durch ihren Mut des Perspektivwechsels punkten, ist deutlich verworrener, aufgrund ihrer zahlreichen verschiedenen Zeitebenen, und wird immer abstruser sowie paradoxer. Sie fordert die Zuschauer heraus, erschüttert ihr bisheriges Verständnis dieser Welt und der Charaktere. Das alles gipfelt in einer 2,5 stündigen Doppelfolge (The Final Chapters). Dieser Abschluss wird mit hoher Wahrscheinlichkeit niemanden zu 100% glücklich zurücklassen, es ist aber dennoch ein sehr passendes, polarisierendes und finsteres Ende. Ich bin immer noch beeindruckt von dem Mut, die Welt vollständig auf den Kopf zu stellen und ein solches Ende abzuliefern.
Letztlich ist „Attack on Titan” ein echtes Epos und ein wahres Meisterwerk mit bitterer, aber sehr pointierter, stimmiger Aussage. Doch ist sie auch die beste Anime-Serie überhaupt? Ich kann sie nur voll empfehlen und vor allem, wenn man wunderbare Anime-Action liebt, gerne mitdenkt, die Themen verkraftet, ständige Twists mag oder eine spannende Welt entdecken und eine einzigartige, ambivalente Geschichte erleben möchte.



