„All or Nothing: Die Nationalmannschaft in Katar wirkt wie eine zusammengeschusterte Doku, der der Erfolg des Teams fehlte. Doch genau darin liegt ihre Stärke, denn sie entlarvt und erklärt die Gründe für den Misserfolg der Nationalmannschaft in Katar. Ein Wunder ist, dass irgendwer beim DFB diese Doku sah und danach zwei Sachen dachte: 1. Kann man so zeigen. 2. Hansi Flick sollte Trainer bleiben. Flick beschädigte diese Doku als Trainer, erst beim FC Barcelona konnte er sein angeknackstes Image wieder schnell aufpolieren.
Die wahren Gründe für das Ausscheiden und die Gründe, die aus dem Team genannt werden, gehen fast comichaft weit auseinander. Denn die Gründe waren nicht, dass die böse deutsche Öffentlichkeit das Team gehasst hat (was mehrfach von Hansi Flick in der „Wir gegen alle“-Mentalität hochstilisiert wird, statt die Kritik klar auf den DFB, seine Führungskräfte und weg von den Spielern zu nehmen) oder dass Flick im Teambus drei Stunden für eine Pressekonferenz fahren musste, oder dass die Spieler nicht wie Graugänse flogen (das Meme der Serie), sondern das komplette und kollektive Führungsversagen von Bierhoff, Neuendorf und Hansi Flick.
Flick wird demaskiert, man fragt sich, wie er jemals mit einem Team Erfolg haben konnte und wie er jemals wieder einen guten Job kriegen möchte. Man kann ihm nur absolutes Versagen attestieren, gerade in der „Wir gegen euch“ Mentalität zwischen Trainerteam und Spielern. Es ist ein Wahnsinn, wie alle in ihren traurigen, kongressartigen Präsentationsräumen rumsitzen und Hansi einzelne Spieler attackiert, die sich erklären sollen. Dann Thomas Müller dazwischen springt, dann Kimmich etwas Konstruktives sagen will (das einzige Mal in dieser Doku, in der Kimmich auch sonst wieder zeigt, dass er vor allem Floskeln kann), aber direkt vom Trainer angegriffen wird, der einen konstruktiven Vorschlag als Angriff auf sein eigenes perfektes Ich sieht. Dem Ganzen setzt nur Bierhoff die Krone auf, der sich zur Aussage hinreißen lässt, dass Hansi Flick mit diesem Krisenmanagement so wahnsinnig souverän und toll umgeht und das gegengeschnitten wird mit einem daueraggressiven und unentspannten Hansi. Das ist Kunst, das ist unfassbar.
Ein weiterer Wahnsinn ist, in wie vielen Szenen man inhaltsloses Gelaber hören kann, wie man es auch aus großen Unternehmen und „Keynotes“ der Führungskräfte kennt. Man kann in den Blicken der Spielern lesen, wie sie denken: „Was redet der Lappen da vorne?“ Insofern ist die Doku sehr sehenswert für die Entlarvung von Führungskräften „großer Unternehmen“ oder eben einer Fußballmannschaft. Die cholerischen Kabinenansprachen sind auf Kreisklasse-Niveau. Aber auch die Spieler können in ihren O-Tönen fast nichts Sinnvolles beitragen. Einzig die Streitigkeiten und die Erklärung dessen waren voller Inhalt.
Was hält die Doku denn davon ab, großartig bewertet zu werden? Leider alles andere. Der Ton ist manchmal schlecht, so dass man einige Wutausbrüche nicht versteht. Die Gesprächspartner sagen selten irgendetwas Schlaues, sondern sind nur zur eigenen Demaskierung da. Die Montagen von Erfolgssequenzen einzelner Spieler verpuffen am nächsten Spiel ohne Erfolg und wirken deplatziert. Letztlich fehlt auch ein größeres Narrativ, so dass man lange über Beiläufiges redet und man ständig nur Hansi Flicks Opfermentalität zu hören bekommt.
Daher ist die „All or Nothing“ Doku über die Deutsche Nationalmannschaft bei der WM in Katar 2022 eine wunderbar entlarvende Dokumentation, die solide bis okay produziert ist und bei der man als Fan Opfer der Erfolglosigkeit der Nationalmannschaft wurde. Inhaltlich ist die stärker als andere „All or Nothing-Dokus“, in Sachen Produktion schwächer.



