Der Schatten – Wahnhafter Mystery-Thriller mit starkem Ende. Review Miniserie

Die Journalistin Norah (Deleila Piasko) siedelt von Berlin nach Wien über, weil eine PR-Agentur in Berlin „ihr Leben zerstörte“, nachdem sie einen investigativen Artikel über deren Verfehlungen veröffentlichte. An einem ihrer ersten Tage in Wien erhält sie von einer Bettlerin eine mutmaßliche Prophezeiung: Sie wird gut eineinhalb Monate später einen Mann auf dem Prater ermorden! Infolge der Prophezeiung wird ihr auch noch das Handy geklaut und sie wird gestalkt. Für Norah beginnt daraufhin eine wahnhafte Suche nach der Wahrheit verbunden mit dem Versuch, bei Verstand zu bleiben, denn natürlich gibt es noch Traumata aus der Jugend, die es zu verarbeiten gilt. In diesem Fall handelt es sich um den Selbstmord ihrer damaligen besten Freundin, die ihr 14 Jahre zuvor in einem Abschiedsbrief die Schuld an ihrem Suizid gab.

Die Mysteryserie präsentiert tolle Bilder eines Fiebertraums und auch die gelungene Regie sowie das gute Darsteller-Ensemble sind hervorzuheben. Gerade Andreas Pietschmann (Dark, 1899) als exzentrischer Künstler ist wieder top und Hauptdarstellerin Deleila Piasko braucht für mich ein wenig um in die Rolle hineinzukommen, wirkt anfangs leicht hölzern, aber mit zunehmendem Wahn wird sie immer überzeugender und am Ende richtig gut! Ich möchte die Handlung mit „Jacob’s Ladder“ minus die Horrorelemente vergleichen und auch noch mit einigen anderen Größen, aber das würde zu viel spoilern.

Das größte Problem ist für mich die Geschichte selbst, oder zumindest die Darstellung dessen, sowie einige Figuren und die Nachvollziehbarkeit des Handelns der Charaktere. Charaktere, wie den komischen, ekligen Kollegen auf der Arbeit brauche ich nicht mehr, vor allem wenn Norah sich auf ihn auch noch kurzzeitig einlässt, obwohl er ein komplettes Arschloch ist. Generell ist die überkonstruierte Handlung sehr fragil, wenn Norah einmal zu Beginn zur Polizei gegangen wäre, als sie bemerkte, dass bei ihr eingebrochen wurde, hätte das Kartenhaus schon einstürzen können. Seltsamerweise wird die Polizei im späteren Verlauf der Handlung auch eingebettet, es ist also nicht so, dass wir einfach akzeptieren müssten, dass es sie nicht gibt. Das alles und noch viel mehr helfen der Glaubwürdigkeit der Geschichte und der Figuren nicht weiter.

Dazu kommt ein Verschwörungsplot, den ich entweder früher auserzählt hätte, oder erst später angedeutet hätte. Sofort ab Folge 1 kann man etwas erahnen, was ich noch in Ordnung finde. Folge 3 und 4 drücken mittels Cliffhangern dem Zuschauer dann Plotpoints aber zu offensiv auf die Nase und nehmen schon zu viel vorweg, ohne diesen spannenden Handlungsstrang auch ausgiebig zu beleuchten. Aus meiner Sicht wäre eine ausführlichere, frühe Thematisierung das Mittel der Wahl gewesen, oder noch besser: man hätte erst ab Episode 5 den großen Twist konstruieren sollen. So wirkt es leider etwas halbgar. Die ganzen „subtilen“ Andeutungen innerhalb der Handlung sind leider nicht subtil genug. Private Sicherheitsdienste an der Tür, Menschen, die bewusst Dinge fallen lassen und viele weitere Momente wirken etwas arg verdächtig. Ich hätte mir mehr Mut gewünscht, dass die Zuschauerschaft auch ohne den Dampfhammer das Puzzle zusammensetzen kann.

Letztlich mag ich das Ende nämlich wirklich gern. Natürlich ist das sehr konstruiert, aber mit noch etwas besserer Vorbereitung wäre der Twist vielleicht auch wirklich bahnbrechend und groß gewesen. Dennoch wird es am Ende schön und stimmig aufgeklärt, auch wenn ich die letzten 5 Minuten nicht gebraucht hätte, das letzte Bild hingegen schon: Sowas ist großartig!

Insgesamt hätte die Serie ein neuer deutscher Mystery-Geheimtipp mit schönem Wahn/Fiebertraum-Plot sein kann, letztlich krankt sie aber leider an zu großen Andeutungen/Twistvorwegnahmen und erheblich an der Glaubwürdigkeit der Handlungen der Charaktere. Schade, hier war noch mehr drin, aber „Der Schatten” ist dennoch sehenswert.

75/100
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