Eine düstere indische Krimiserie mit zahlreichen Dramaelementen, die reale Vorfälle, die die indische Gesellschaft erschüttert haben, als Vorbild heranzieht. Dadurch wird eine hohe Authentizität geschaffen. Staffel 1 basiert auf dem leider realen Fall einer Gruppenvergewaltigung, dem „Nirbhaya-Fall” in einem Bus aus dem Jahr 2012, Staffel 2 thematisiert die „Chaddi Baniyan” Gangs, deren Markenzeichen es ist in Unterwäsche Verbrechen zu begehen.
In Deutschland ist „Delhi Crime” sicherlich in der Kategorie Geheimtipp zu führen, da die Netflix Serie – soweit ich weiß – leider keine deutsche Synchronisation erhalten hat. Innerhalb der Serie mischen sich die beiden Sprachen Englisch und Hindi, wodurch viele grob die Hälfte auch ohne Untertitel verstehen werden. Es lohnt sich, über den Tellerrand hinauszublicken und die Serie im O-Ton anzusehen. Denn so eine ernste und fiese Krimiserie, da sie auf wahren Begebenheiten beruht, habe ich selten gesehen. Gerade Staffel 1 hat mich tatsächlich stark mitgenommen, die 2. Staffel leider weniger. Denn die erste Staffel dieser relativ klassischen Krimiserie, die eine Ermittlung in einem ganz anderen Kulturkreis als dem europäischen oder amerikanischen zeigt, wirkt dadurch sehr interessant und frisch.
In Staffel 1 wird aus der Perspektive der Delhi Polizei und speziell der leitenden Ermittlerin Vartika (Shefali Shah) die Ermittlung minutiös nacherzählt und behält dabei auch den Blick auf die gesellschaftlichen Auswirkungen einer Tat, die auch weltweit Aufmerksamkeit bekam. Denn in der Folge gab es Proteste im ganzen Land, die für Frauenrechte auf die Straße gingen. Die harte Antwort der Polizei auf die Proteste, sowie auch die Machtkämpfe und Unfähigkeit innerhalb von Polizei und Ministerien werden thematisiert. Dabei werden auch Korruption, ein vollkommen seltsames Gerechtigkeitsempfinden und die Rolle der Medien in den Fokus gerückt. Vartika versucht entgegen vieler Widerstände in Zeiten des Aufruhrs die Täter zu ermitteln.
Eine Serie, die aufgrund des wirklich grauenvollen Verbrechens und der historischen Bedeutung für Indien relevant ist. Sie ist dabei nichts für einen seichten Magen, die Darstellungen und Beschreibungen des Verbrechens sind schon unglaublich fies, eine Triggerwarnung ist angebracht. „Delhi Crime” besticht allerdings vor allem zu Beginn durch die starke Produktion und Regie. Viele längere Szenen und sogar einige One-Shots mit einer stets beweglichen Kamera, die immer nah an den Gesichtern sind, sorgen für eine Dynamik und eine passende Emotionalität. Auch inhaltlich wirkt sie etwas anders als andere Krimiserien, weil sie sich durch die Art des Micromanagements der leitenden Ermittlerin abhebt. Ständig passiert an verschiedenen Fronten etwas Neues und Vartika versucht, alles unter einen Hut zu bringen, zu kontrollieren und in vernünftige Bahnen zu lenken. Eben auch, weil einige Polizisten bewusst nicht gut arbeiten. Diese Dynamik verliert die Staffel etwas in Folge 4-6 (naturgemäß durch den Verlauf der Suche nach den Tätern), aber die letzte Folge sorgt für einen gelungenen Abschluss. Ansprechend und durchaus informativ ist natürlich der Einblick in eine andere Kultur. Dabei scheint es beispielsweise schon mal üblich zu sein, mit Schuhen auf Tatverdächtige zu werfen oder Verdächtige zu verprügeln.
Staffel 2 ist etwas fiktiver angelegt, weil man auf Grundlage der echten „Chaddi Baniyan” Gangs eine Nachfolge-Gang bastelt, die in deren Stil weiter mordet. Die Riege der Hauptdarsteller der Ermittlungsbehörden rund um Vartika bleibt bestehen. Die Produktion und die Regie sind immer noch ganz gut und stilsicher, aber das Verbrechen selbst hat nicht mehr das Gewicht der ersten Staffel. In Sachen Delhi Polizei hat sich wenig verbessert, Unfähigkeit, eine seltsame Rechtsauffassung und falsche Verdächtigungen dominieren die Reihen. An den „DNT”, den „denotified tribes” (im Wesentlichen wird ein ganzer „Stamm” aufgrund seine Ethnie diskriminiert und für kriminell gehalten), arbeitet sich die Serie als falsche Fährte lange Zeit ab, gen Ende wird die Verbrecherbande entmystifiziert, da in ihren Blickwinkel gewechselt wird. Inhaltlich ist Staffel 2 leider bei Weitem nicht mehr so überzeugend und groß angelegt wie noch Staffel 1. Ein Weitblick auf die Gesellschaft fehlt fast vollständig, nur innerhalb der Polizei und des Rechtssystems werden die Missstände erneut überdeutlich. Die 2. Staffel funktioniert immer noch als klassischer Krimi mit indischem Flair, aber erreicht nicht mehr die vorherige Qualität.
Da es sich um abgeschlossene Fälle pro Staffel handelt, würde ich empfehlen nur Staffel 1 von Delhi Crime zu schauen. Die 7 Episoden lohnen sich sehr, sind allerdings auch wahrlich nichts für schwache Nerven.



