Die Neo-Noir Unterwelt-Thriller-Serie spielt in Japan zum Ende der 90er Jahre. Ähnlich wie Narcos ist Tokyo Vice eine gute Serie zum Lesen, denn in mehr als 50% der Serie wird japanisch gesprochen.
„Tokyo Vice” ist gut besetzt mit Ansel Elgort in der Hauptrolle, der den realen Journalisten Jake Adelstein spielt, auf dessen Erzählungen diese Serie basiert und fiktionalisiert wurde. Außerdem ist Ken Watanabe als Polizist Kagiri ein Faustpfand von „Tokyo Vice”, das gut produziert ist und eine stimmige Atmosphäre erzeugt. Es geht um das Leben von Jake, der sich entscheidet, nach Tokio auszuwandern und der erste westliche Journalist für eine japanische Zeitung werden möchte. Dafür liest er zahlreiche Bücher und möchte viel von der Kultur aufsaugen, sprechen und schreiben kann er japanisch bereits auf hohem Niveau. Er beginnt als Polizeireporter, ist aber immer den größeren Fischen und Geschichten auf der Spur, das dümmliche Verfassen von nüchternen Berichten, was von seinen Chefs zunächst gefordert wird, reicht ihm nicht. Diese Neugier bringt ihn schnell in einen Escort-Club, in dem er die, auch aus den USA stammende, Samantha (Rachel Keller) trifft und sich in sie verguckt. Sam wird aber in der Folge zu einer weiteren wichtigen Nebenfigur, die viele Handlungsstränge erhält und ins Yakuza Territorium überleitet, das die Handlung fortan komplett einnimmt. Dabei stehen vor allem Intrigen und Korruption im Fokus, verschiedene Blickwinkel und Charaktere aus Polizei, Presse und unterschiedlichen Yakuza-Clans illustrieren dies.
Staffel 1: Die Pilotepisode ist ein Traum, die Regie führte Altmeister Michael Mann. Der an den Tag gelegte Beat, das Tempo, ergibt eine perfekte Symbiose in Kombination mit dem treibenden Score. Gleichzeitig funktioniert die Folge aber auch als Exposition, sie ist spannend und interessant. Dieses Niveau kann der Rest der Serie zwar nicht ganz halten, auch weil danach der Fokus auf die Hauptfigur immer mehr schwindet und es eher zu einer Ensemble-Serie wird. Reporter Jake, Kommissar Katagari, Hostess Sam, Yakuza Mitglied Sato und viele kleinere Nebenfiguren sorgen dafür, dass eine gewisse Sogwirkung entsteht. Als Zuschauer wird in die Untergrundwelt hineingezogen, auch wenn das nicht zwingend etwas Neues beinhaltet. Aber die Serie ist stylisch, die starke Musik untermalt die Atmosphäre passend, gute Darsteller (beeindruckend der Englisch/japanisch Wechsel) runden das positive Bild stimmig ab. Leichte Unstimmigkeiten gibt es beim Pacing, manchmal ist „Tokyo Vice” etwas langsam und verliert den roten Faden. Zudem stoppt Staffel 1 mitten in der Haupthandlung.
Staffel 2: Die Geschichte wird glücklicherweise in der 2. und letzten Staffel nahtlos weitererzählt, ohne Zeitsprung wird man sofort in die spannende Situation des Endes der 1. Staffel hineingeworfen. Doch das entbrannte Feuer wird enttäuschenderweise schnell gelöscht und verwässert damit leider auch etwas den Höhepunkt der 1. Staffel. Die Folgen 2-4 sind danach etwas ruhiger und enthalten viel Exposition. Generell wirkt die Geschichte manchmal etwas überfrachtet durch die zahlreichen Charaktere mit ihren ganz eigenen Hindernissen, die es zu überwinden gilt. Etwas schade ist beispielsweise, dass Samantha fast nur als Katalysator für andere Storylines verwendet wird und warum Maruyamas Bruder so wichtig ist, habe ich beispielsweise nicht verstanden. Somit tritt die Hauptgeschichte etwas auf der Stelle, das Tempo wird zu Beginn unnötig verringert. Zumindest bis zur starken 5. Folge, die einen gelungenen Startschuss für den spannenden, starken Rest der Serie bedeutet. Gerade die letzten zwei Folgen sind auf sehr hohem Niveau, das Ende ist erstaunlich gut gelungen. Tatsächlich werden viele Handlungsstränge der zahlreichen Charaktere am Ende der Serie zusammengeführt und eben nicht vergessen, das sorgsam gesponnene Netz aus Handlungssträngen läuft in einem guten Abschluss zusammen. Somit ist Staffel 2 aufgrund des sehr gelungenen Serien-Endes sogar noch etwas besser als Staffel 1.
Im Kern bietet „Tokyo Vice” zwar auch vor allem das Innenleben mafiöser Strukturen ab, in Serienform sind die Yakuza allerdings noch nicht so weit verbreitet, so dass sich das Milieu als weitgehend frisch anfühlt. Gerade die Eigenheiten der Yakuza rund um Ehre führen zu interessanten Entscheidungen. Die zusätzliche journalistische und die Polizei-Perspektive bilden gemeinsam eine spannende Collage und damit eine sehenswerte Serie, die nach zwei Staffeln ihr Ende fand. Das Überspringen der Untertitel-Hürde lohnt sich erneut sehr.



