The Bear – Wunderbar inszenierter Stress in der Restaurantküche – Review Staffeln 1-4

„The Bear” ist eine Workplace-Ensemble-Dramaserie, die in einem einzigartigen Setting spielt: Einer Restaurantküche. Die Serie brilliert durch ihre starken Darsteller, ihre Authentizität, ihre kreative Inszenierung sowie unzählige Dialoge und Konflikte, die teilweise extrem tief greifen und manchmal nicht über oberflächliche Beschimpfungen hinausgehen. Überragend ist, wie „The Bear” den Faktor Stress aus der Küche direkt auf den Zuschauer überträgt, auch wenn nur geredet wird – aber vor allem in der Küche. Eine wunderbare Serie, allerdings mit leichten qualitativen Schwankungen.

Im Zentrum der Serie steht Carmen Berzatto (Jeremy Allen White, großartig), der nach Chicago zu seiner zerrütteten Familie zurückkehrt. Sein Bruder Michael (Jon Bernthal) hat kürzlich Selbstmord begangen und Carmen das Familienrestaurant überlassen. Carmy arbeitete zuvor in der gehobenen Gastronomie und Sterneküche, gewann sogar einen Nachwuchspreis. Nun trifft er auf die eingefahrenen Strukturen des gemütlichen, aber heruntergekommenen „The Beef” und seine Mitarbeiter – nebenbei verzweifelt er an der unternehmerischen Seite. Denn leider gibt es massive Geldprobleme und Geldgeber, die ihr Investment zurückfordern. Dazu holt sich Carmen noch Syd (Ayo Edebiri, stark) als Sous-Chefin ins Team, die sehr engagiert und auch fähig ist. Gemeinsam versuchen sie den Laden umzubauen, vor allem entgegen den Ideen von Richie (Ebon Moss-Bachrach, authentisch), dem besten Freund des verstorbenen Michael, der sich gegen vieles wehrt.

Letztlich beobachtet man einen Haufen von kaputten Charakteren mit zahlreichen Problemen bei ihrer Arbeit. Dabei fällt auf, dass vor allem Kommunikation keine Stärke der Beteiligten ist. Deswegen ist „The Bear” eine Serie mit vielen Reibungen, viel Streit, vielen Schimpfwörtern, viel Geschrei und Konflikten. Die Serie ist dialoglastig, dabei aber authentisch, was besonders in der englischen Originalsprache zum Vorschein kommt. Häufig wird übereinander gesprochen, teilweise geredet, ohne dass wirklich etwas gesagt wird, nicht jeder sagt immer den cleversten Satz. Doch in dieser stakkatoähnlichen Geschwindigkeit, die Stress induziert, habe ich das zuletzt bei „The Newsroom” spürte. Dabei helfen natürlich die durch die Bank großartigen Darsteller, die ihre Figuren glaubwürdig darstellen. Gepaart werden die starken Dialoge mit einer guten Portion Kulinarik und Alltag im Restaurant. Dem Essen, dem Kosten, Zubereiten und Ausprobieren neuer Gerichte wird Zeit eingeräumt, gelungene Kamerashots lassen einem teilweise das Wasser im Mund zusammenlaufen. Die Szenen in der Küche selbst: Wow, das ist purer Stress, pures Adrenalin, wie ich es selten erlebt habe. 

Überraschend und überragend ist die hohe Anzahl an Gaststars, die innerhalb der Serie auftauchen und sich manchmal sogar zu echten Nebenfiguren entwickeln. Ich möchte nicht alles spoilern, aber Jamie Lee Curtis und Will Poulter werden irgendwann ganz organisch dem Cast hinzugefügt. Dazu gibt es einige aufsehenerregende Cameos. Offenbar möchte jeder Schauspieler ein Teil dieser Serie sein. Zurecht? Absolut, doch das Pacing ist nicht immer fantastisch, teilweise tritt die Haupthandlung etwas zu sehr auf der Stelle, was vor allem in der deprimierenden 3. Staffel besonders auffällt. Schön ist, dass es in jeder Staffel stets Highlightfolgen gibt, die auch gerne mal die Zeitebene oder das Setting wechseln und die Beziehungen zueinander vorantreiben. Ich bin gespannt, wie viele Staffeln es noch geben wird, das Ende der 4. Staffel glich einem großen Knall.

Zusammenfassend ist „The Bear” eine großartige, einzigartige Dramaserie im Restaurant, die von ihrer Authentizität, ihrem Ensemble und ihrer kreativen Inszenierung lebt. Darüber bietet sie in der Person von Carmen das wohl charakteristischste nervöse Kopfnicken der Seriengeschichte. Nicht jede Folge ist überragend, aber einige sind außergewöhnlich gut und das hohe Aufkommen an Gaststars ist beeindruckend. Teilweise dürfte die Haupthandlung etwas schneller voranschreiten, aber letztlich sind dies kleinere Makel. Denn „The Bear” ist ein echter Serien-Leckerbissen, den man sich nicht entgehen lassen sollte!

Wer es noch etwas detaillierter zu den jeweiligen Staffeln braucht, hier gibt es Einschätzung pro Staffel:

Staffel 1: Die große Storyline passt nicht immer und die Konflikte treten manchmal auch etwas lang auf der Strecke. So sind nicht alle Folgen auf einem Topniveau und haben auch mal schwächere Szenen, aber stets auch gute. Die großen Stärken entwickelt die Serie, wenn die Dinge nicht so laufen wie geplant. Doch zum Ende der Staffel findet „The Bear” richtig ihren Rhythmus und brilliert mit einer unfassbar schönen One Shot-Folge aus der Küche. Generell sind die Folgen 7 und 8 dann Sterneküche. Sehr, sehr gut.

Staffel 2 wirkt zunächst wie Übergangsstaffel bei der es noch deutlich mehr um die Charaktere hinter dem Essen geht als zuvor, doch danach entwickelt sie sich zu etwas Großem. Der extreme Umbau des Restaurants ist lange Zeit Thema und Carm erhält auch eine Lovestory (die ich negativer bewerten würde, wenn Claire (Molly Gordon) nicht so gut wäre) und so tritt die erste Hälfte der Staffel etwas auf der Stelle. Doch danach wird die Qualität auf eine neue Stufe gehoben und es gibt einige losgelöste Highlight-Folgen. Marcus in Kopenhagen (Folge 4) ist schon gut, die über eine Stunde lange Folge 6 ist das unbestrittene und kalkulierte Highlight der Staffel. Es ist ein Rückblick auf ein besonderes Familienessen der Berzattos mit Gaststars und wahnsinnig viel Feuer und Konflikten. Atemlos, nicht durch die Nacht, sondern durch Weihnachten. Und dann kommt Folge 7 mit Richie, der ein Praktikum in einem 3-Sterne Restaurant macht. Mit einem weiteren fantastischen und überraschenden Gaststar (Olivia Coleman), holt vor allem diese Folge die Feel Good-Momente hervor (auch wenn das alles vielleicht etwas „einfach“ ist). Generell ist die 2. Staffel überraschend mit mehr Feel Good ausgestattet, aber am Ende ist der Bär immer noch der Bär und schlägt einem in einer atemberaubenden letzten Folge doch wieder die Zähne aus. So muss es sein. 

Staffel 3 kann man auch als die depressive Staffel bezeichnen, die hauptsächlich frustriert. Sie kann an das fantastische Niveau der zweiten Hälfte der zweiten Staffel leider nicht anknüpfen. Teilweise wirken einige Episoden etwas zu kunstvoll oder fast selbstverliebt inszeniert, dabei bleiben das Tempo und die Hauptgeschichte auf der Strecke. Denn nach der großartiger Neueröffnungsfolge möchte Carm nun die Uhren auf Alleinherrschaft und Sterneküche zurückdrehen und stößt dabei alle vor den Kopf. Inhaltlich entwickelt sich innerhalb der Handlung leider nicht viel, die Konflikte bleiben die ganze Staffel ähnlich, spitzen sich zu und werden nicht ordentlich angegangen, geschweige denn aufgelöst. Die erste Folge ist eine Art reine Montagefolge, in der sehr wenig geredet wird und stattdessen die dröhnende Ambient Musik auf Carmens Gemüt drückt. Die folgenden Episoden 2 und 3 sind Glanzstücke der puren Stressunterhaltung, man kann gar nicht anders, als sich involviert fühlen und selbst gestresst zu werden. Danach verliert die Serie etwas den roten Faden und ergeht sich auch mehr in versuchten Comedymomenten der beiden Fak-Brüder, was nur manchmal gelingt. Die Rückblickfolge 6 rund um Tinas Weg zum Restaurant ist interessant, aber letztlich mit vorherbestimmtem Ende, die Geburtsfolge 8 um Jamie Lee Curtis ist stark, die abschließende Folge eine schöne Verbeugung vor den realen Sterneköchen und deren Handeln. Generell können die Cameos und Gastauftritte weiterhin überzeugen, es werden sogar immer mehr, weil scheinbar jeder Lust hat bei „The Bear” mal dabei zu sein – zurecht. Denn die Darsteller, die Inszenierung, die Musik und die Stressmomente in der Küche sind weiterhin großartig. Dennoch kann Staffel 3 das hohe Niveau nicht ganz halten.

In Staffel 4 kehrt die Serie zu alter Form zurück. Carmen gibt seine Blockadehaltung auf und so ergibt sich wieder ein deutlich vernünftigeres Arbeiten im Restaurant. Nach gutem Start in die Staffel, wird es danach etwas ruhiger, ehe die Hochzeitsfolge 7 den Höhepunkt der Staffel bedeutet, an dem so ziemlich jede Storyline irgendwie kulminiert und zahlreiche weitere Gaststars sich die Ehre geben (wer will eigentlich nicht dabei sein? Wahnsinn). Doch die letzten beiden Folgen, besonders die finale Episode toppt dies nochmal in Sachen Dramatik. Wie in der letzten Folge eigentlich nur geredet wird, aber endlich mal alles auf den Tisch gebracht wird und harte Entscheidungen getroffen werden – das ist brillant-minimalistisch inszeniert und lässt den Darstellern großen Raum. Ich bin sehr gespannt, wie es danach weitergehen wird. Generell ist die 4. Staffel wieder auf einem hohen Niveau unterwegs, für mich ist es die bisher zweitbeste Staffel nach Staffel 2 und vor Staffel 1.

85/100
Total Score
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