Die spanische Mystery-Psychothriller-Serie „Die letzte Nacht in Tremor” wandelt gekonnt zwischen Realität, Traum und Wahnsinn und steigert die Spannung in 8 Episoden um auf ein furioses Ende hinzusteuern – ob dieses gelingt, liegt im Auge des Betrachters. Die Miniserie basiert auf einem gleichnamigen Roman und wurde von Oriol Paulo adaptiert und inszeniert, der sich schon für die Netflix-Thrillerserie „Kein Friede den Toten” verantwortlich zeichnete und ansonsten für Topfilme wie „Der unsichtbare Gast”, „The Body” und „Parallelwelten” bekannt ist. Sein Gespür für starke Bilder, Spannungsaufbau und harte Szenen beweist er auch hier, allerdings ist diese Miniserie eines seiner sperrigsten Werke.
Der wirre Beginn, der im Übernatürlichen fischt, erleichtert nicht gerade den Zugang zu dieser Serie. Im Zentrum steht der innerlich zerrissene und arg gebeutelte Alex (Javier Rey), eigentlich ein gefeierter Filmkomponist, der allerdings die Trennung von seiner Frau und seinen Kindern (die in Amsterdam leben) verarbeiten muss und den immer wieder die Vergangenheit plagt. In einer expositionsreichen und seltsamen ersten Episode wird deutlich, dass Alex vermutet Visionen zu haben, er begrenzt in die Zukunft schauen kann oder ihm „Geister” erscheinen. Das gipfelt darin, dass er vom Blitz getroffen wird, aber überlebt. Dennoch kann man das eigentliche Hauptthema der Miniserie zunächst nicht greifen. Geht es nur um diesen innerlich zerrütteten Mann, der irgendwie wieder zu sich selbst finden muss? Ist vielleicht seine Freundin Judy (Ana Polvorosa) die wahre Hauptfigur, wie Folge 4 suggeriert? Erst in der zweiten Hälfte der Miniserie, die auch Episoden bietet, die oberhalb von 60 Minuten lang sind, wird ab Folge 5 deutlich, worum es eigentlich geht: Alex schwieriges Verhältnis zu seiner Mutter, die von sich selbst behauptet ein Medium zu sein, die Zukunft zu sehen und Alex wie auf Schienen kontrollierend, streng und manipulativ durch sein Leben leitete. Ist diese Gabe echt? Ist sie vererbbar? Handelt es sich stattdessen um eine psychische Erkrankung, die allerdings auch innerhalb der Familie vererbt werden? Außerdem bietet die Geschichte auch noch einen Handlungsstrang rund um falsche Identitäten und Mord.
Die Serie braucht viel Anlaufzeit, bevor man überhaupt versteht, worum es geht. Dabei möchte ich eine Triggerwarnung aussprechen, die 18er Freigabe der Serie gibt es nicht ohne Grund. Es gibt in Folge 4 eine wahnsinnig lange Geschichte rund um eine Vergewaltigung (die nicht so recht reinpasst, aber überaus packend und fies inszeniert ist), auch in Episode 7 und 8 gibt es wirklich fiese und böse Szenen, die emotional mitreißen können. Die sehr gute 5. Folge liefert endlich wichtige und bitterböse Erklärungen aus der Vergangenheit. Generell könnte man die Serie auch „Die letzte Nacht in Trauma-City” nennen, weil wirklich viele Traumata behandelt und schmerzhaft auserzählt werden. Die Miniserie ist somit nichts für schwache Nerven. Die Frage zwischen Übernatürlichkeit und psychischer Erkrankung wird bis zum Ende gekonnt aufrechterhalten, ohnehin ist die Serie audiovisuell ein Brett. Man merkt, dass der Regisseur ein Meister seines Thrillerfachs ist, der Plot ist darüber hinaus weitgehend unvorhersehbar, so dass man immer wieder überrascht wird.
Die Serie hat die ein oder andere Logikproblematik und den größeren Makel des langsamen, wirren Beginns. Zudem dürfte das Ende polarisieren. Ich fand es lange (Folge 7) sehr gut, in den letzten 20-30 Minuten von Episode 8 löste sich die Handlung für mich zu einfach, um wirklich nachhallen zu können. Das fällt bei einer Serie, die von vornherein auf die Auflösung konzipiert ist, leider etwas mehr ins Gewicht.
Für Thrillerfans, die etwas Geduld mitbringen und vor harten Sequenzen nicht zurückschrecken, ist „Die letzte Nacht in Tremor” auf jeden Fall empfehlenswert, die Serie ist sicherlich deutlich besser als das IMDb-Rating behauptet. Für den großen Wurf fehlt aber etwas am Ende und im zu wirren Aufbau. Dennoch mochte ich die Serie, die mich in der Mitte in ihren Bann zog und mitreißen konnte, mich aber am Ende nicht ganz überzeugte.



