Amy Bradley ist spurlos verschwunden – 1998, Tatort: Kreuzfahrtschiff. Review Doku-Miniserie

Falls man noch einen weiteren Grund braucht, um von Kreuzfahrten möglichst großen Abstand zu halten: „Amy Bradley Is Missing“ bietet perfekten Anschauungsunterricht. Die True Crime-Doku behandelt einen Fall von 1998, als eine junge Frau bei einem Familienurlaub in den frühen Morgenstunden spurlos verschwand. Sprang sie? Wurde sie ermordet? Wurde sie verschleppt und lebt auch heute noch? Die Doku kann diese Fragen leider nicht beantworten, sondern liefert lediglich Theorien.

Ist das ein neueres Phänomen oder schaue ich einfach zu wenig True Crime Dokus um zu wissen, dass immer seltener Fälle präsentiert werden, die eine klare Lösung, eine höchstwahrscheinliche Spur oder zumindest eine Gerichtsverhandlung am Ende bieten können? Stattdessen sind diese Dokus eine Nacherzählung, eine Zusammenfassung des gesamten Falls bis zum heutigen Tag für alle, die ihn bisher noch nicht kannten – mehr aber auch nicht. Trotz seines guten Aufgebots an Interviewpartnern aus den unterschiedlichen Bereichen durchbricht „Amy Bradley ist spurlos verschwunden” dieses Schema leider nicht.

Die Serie ist solide produziert, die Anzahl an geäußerten Theorien und Spekulationen zu Amys Verbleib ist bemerkenswert hoch. Häufig hat man allerdings das Gefühl, dass die Doku nicht ihre Aufgabe des Gewichtens übernimmt, die Vorsortierung. Die Drogenkauf-Theorie ist beispielsweise so großer Quatsch, dass sie nicht mal erwähnt werden sollte. Doch irgendwie wird alles mit hineingebracht, dann aber auch nicht weiter verfolgt. Die zahlreichen Sichtungen von Amy Jahre später sind ein Beispiel, die Bilder von einer angeblichen Amy Jahre später ein anderer. Dies sind gute Hinweise und erscheinen kurzzeitig wie Durchbrüche in diesem Fall, aber irgendwie verläuft dann doch alles im Sande. Weil es mit dem Ermitteln brutal schwierig ist. Wer ist auf hoher See zuständig? Wer kann worauf zugreifen? Was kann das FBI überhaupt ausrichten? Offenbar nichts, man hat an allen erdenklichen Stellen das Gefühl, dass die Behörden besser hätten ermitteln können.

Fremdscham-Highlights sind die Angestellten des Kreuzfahrtschiffs, für die die Show einfach weitergehen musste. Es wäre fast bewundernswert, wie empathielos und selbstüberzeugt diese Menschen auch heute noch über die verschwundene Frau sprechen – vor laufenden Kameras –, doch stattdessen ist es vor allem ekelhaft. Darüber hinaus verdienen auch die ganzen (angeblichen) Sichter einen Preis dafür, dass sie ständig mit um Hilfe bettelnden Frauen (vielleicht Amy) in Gefangenschafts-Situationen konfrontiert waren, aber das niemand meldeten, sondern einfach ihr Leben weiterleben. So stellt man sich Zivilcourage vor.

Somit bleibt letztlich eine unbefriedigende True Crime Doku, deren Fall tatsächlich spannend ist, die aber ohne Ergebnis bleibt. Zudem bleibt sie lieber eine Collage an allen möglichen Lösungen statt fokussiert die Wahrscheinlichkeiten der unterschiedlichen Theorien abzuwägen und mit einem roten Faden durch die Geschichte zu führen. Ich hoffe, dass die Familie mittels der Doku nochmal Aufmerksamkeit und endlich Antworten findet, dann hätte die Dokumentation wenigstens doch noch etwas Gutes. Angeblich sollen auch ein paar Dinge ausgespart worden sein, das weiß man aber natürlich erst, wenn man noch weiter über den Fall recherchiert.

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