Arcane – Visuell überragender Actionkracher mit emotionaler Geschichte. Review ganze Serie

Die amerikanische Produktion „Arcane: League of Legends” basiert auf dem Videospiel „League of Legends” und ist – für viele überraschend – eine sehr gute, vielschichtige, actionreiche, epochale, visuell wundervoll bunte und emotionale Animationsserie geworden. Das Beste: Man benötigt keine Kenntnisse über das Spiel und dessen Charaktere, da die Serie bei 0 ansetzt, sich aus dem breiten Pool der spielbaren „Champions” des Spiels einige herauspickt und die Figuren kunstvoll miteinander verwebt.

Im Zentrum der insgesamt 18-teiligen, abgeschlossenen Serie, die in 2 Staffeln in etwa 40 minütigen Episoden auf Netflix veröffentlicht wurde, stehen zunächst die beiden Schwestern Vi und Powder, die Waisenkinder sind und sich mit Diebstählen über Wasser halten. Die beiden leben bei ihrem Ziehvater Vander in der Unterwelt der riesigen Stadt Piltover. Das Setting der Serie ist diese Stadt, die streng in Ober- (reich) und Unterstadt (arm) getrennt ist, wodurch natürlich Konflikte vorprogrammiert sind. Die Oberstadt gilt als „Stadt des Fortschritts” und zieht viele der schlausten Köpfe der Welt an, weil in ihr die „Hextech” (wodurch man Magie nutzen kann) erfunden wurde. Doch während in der Oberstadt die Reichen, Schlauen und Schönen relativ unbehelligt leben können und von einem Rat geführt werden, gilt die Unterstadt als gesetzlos. Verschiedene „Gangs” und ihre charakterstarken Anführer kämpfen um die Vorherrschaft, mal mit roher Gewalt, mal durch Manipulation zum Einflussgewinn. Die Oberstadt – in der mit Intrigen und Korruption die Politik beeinflusst wird – hält sich zunächst aus diesen „niederen” Problemen überwiegend heraus, was sich allerdings später ändern soll. Die Handlung folgt im weiteren Handlungsverlauf einer ganzen Reihe von spannenden, unterschiedlichen Charakteren aus Ober-und Unterstadt mit ihren eigenen interessanten Hintergrundgeschichten. Über ihre Schultern blickend, erleben die Zuschauer diese bunte, garstige und authentisch wirkende Welt.

Die größte Stärke der Serie ist die unfassbar gute Animation, ihr Look. Hier sieht einfach jede Szene hervorragend aus. Die Serie ist aufwändig produziert, wenn man bunte, visuell vollgepackte Animationsserien vielleicht noch nicht so häufig gesehen hat (gerne „Into the Spiderverse” schauen), dann mag einem der Stil anfangs etwas „zu viel” sein. Darüber sollte man allerdings schnell hinwegkommen, denn ansonsten verbaut man sich eine großartige Serie, die sich thematisch deutlich an Erwachsene richtet. Der starke Look hilft aufgrund seines hohen Detailgrads auch dem Worldbuilding und den vielschichtigen Charakteren. Besonders fällt dies allerdings bei den zahlreichen Actionsequenzen auf, vor allem bei den stark inszenierten Kampfszenen (mit viel Zeitlupe) auf, die einen umhauen können. Die Serie legt ein hohes Tempo an den Tag und weiß an den richtigen Stellen für emotionale oder visuelle Höhepunkte zu sorgen – zumindest nach den ersten beiden expositionsreichen Episoden. Dennoch bleibt auch Zeit für die Welt und die Weiterentwicklung der verschiedenen Charaktere, Fraktionen, Meinungen und Bewegungen. Ab und an gehen mir einige Dinge zwar etwas zu schnell, die Charaktere sind sehr wankelmütig und ändern ihre Meinung manchmal zu einfach (Beispiel sinngemäß: Jetzt habe ich hier endlich etwas Macht, jetzt wird das mit der Korruption aufhören. – Aber dir könnte die Korruption auch helfen. – Lang lebe die Korruption!). Einige Dialoge sind vielleicht auch nicht ganz perfekt, aber die allgemeine Storyline kann durchgehend überzeugen.

Staffel 1: Interessant an „Arcane” ist, dass die ersten beiden Episoden die schwächsten der ganzen Serie sind. Hier wird sich noch sehr auf die stehlende Jugendgruppe rund um Vi und Powder fokussiert, man bekommt einige Kinderabenteuer-Vibes. Doch ab Folge 3 eskaliert ein Konflikt unfassbar großartig und bitter, wodurch sich alles für die Stadt ändert, da köchelnde Spannungen explodieren. Dies wird von einem Zeitsprung untermauert, ab dem das Tempo deutlich anzieht und man sich in der Folge in actionreichen, visuell wundervollen Sequenzen, emotionalen Dialogen und einer überraschend stimmigen Welt verlieren kann. Man sollte der Serie demnach mindestens 3 Folgen Zeit geben, bevor man darüber urteilt. 

Auch musikalisch kann die Serie punkten. Zu den zahlreichen Popsongs gesellen sich auch der energetische Titelsong der Imagine Dragons und das Highlight der Serie: Als Creditsong der 1. Staffel gibt es einen extra dafür produzierten Song von Sting, der mich völlig gebrochen und emotional zurückließ. Bis heute sorgt „What could have been” immer noch für Gänsehaut, wenn ich nur daran denke.

Staffel 2: Überraschenderweise setzt die 2. Staffel visuell nochmal einen drauf, der Look und die Kreativität des Designs sind einfach überragend. Die Animation ist immer noch hervorragend und immer wieder gibt es zahlreiche kreative, visuell-ungewöhnliche Einfälle – einige Szenen sind gezeichnet, einige schwarz/weiß, mal wird ein Wasserfarben-Look ausprobiert. Diese Bandbreite ist wundervoll anzusehen, da ist so viel los, dass es mich zeitweise an die „Across the Spiderverse” erinnerte, aber „Arcane” wirkt aus meiner Sicht nie überfrachtet. Die Inszenierung gelingt und bietet einen gewissen temporeichen Flow. Sequenzen mit Popsongs in Montagen, die auch gerne längere Zeitabstände zeigen, gleiten frei über in die nächste überzeugende Actionsequenz und in die nächste emotionale Szene, die Charakterentwicklungen vorantreibt. Das ist inhaltlich und in Sachen Pacing überzeugend. 

Ich hätte am Ende der 1. Staffel oder auch zu Beginn der 2. Staffel nie das Ende vorhersehen können, in „Arcane” passiert wirklich viel. Ich weiß nicht, ob ich jeden Handlungsstrang genauso gebraucht hätte. Die schwarze Rose habe ich bis zum Ende nicht wirklich verstanden, die erneute Vander-Story funktioniert für mich nur anteilig, die Propheten-Story fühlte ich erst spät. Aber das fällt letztlich kaum ins Gewicht, wobei ich mir manchmal mehr Fokus auf die starke Vi/Jinx Geschichte gewünscht hätte. Doch in der Abschlussfolge der ganzen Serie laufen die Handlungsstränge ganz hervorragend zusammen und bieten ein fantastisches Ende. Für mich wirkte es manchmal etwas zu gehetzt und zu komprimiert, die Hexkerne und das Arcane selbst hätte ich gerne besser verstanden. Aber die Schlagzahl, in der krasse Szenen abgeliefert werden, ist schier unfassbar. Folge 3, Folge 5, Folge 6,und die abschließende Folge 9 bieten so viele imposante Momente, sowohl fürs Auge als auch fürs Herz.

Insgesamt ist „Arcane” eine großartige, actionreiche, visuell wunderbare Animationsserie mit überzeugenden Charakteren, die man gesehen haben sollte. Manchmal wirkt die Serie erzählerisch und visuell vielleicht etwas überladen oder gehetzt, aber letztlich ist das kaum relevant, wenn ein solch krönender Abschluss gelingt, der auch emotional wirken kann. Staffel 2 ist zwar das Ende von „Arcane”, aber nur der Beginn eines LOL-Cinematic Universe – zumindest ist das der Wunsch. Ich weiß nicht, ob es auch meiner ist, aber gegen mehr Serien auf diesem Topniveau würde ich mich sicherlich auch nicht wehren.

88/100
Total Score
Nach oben scrollen