„Drive to Survive” ist die Formel 1 Doku zu den jeweiligen Saisons seit dem Jahr 2018, die die Popularität des Sports befeuerte und gerade auch in den USA einen neuen Markt erschließen konnte. Durch die großen Anteile der Soap-Opera mit Hahnenkämpfen und Kindergarten-Streitereien unter Teamchefs und Fahrern, erreichte die Serie auch ein Publikum, das nicht zwingend Motorsport, sondern eher die Geschichten dahinter interessiert.
Die Machart der Serie wurde im Verlauf der Staffeln besser, da generell weniger Patzer auftreten, die Motorsportfans sofort auffallen. Zudem wurden glücklicherweise die Fake-Rivalitäten, die anfangs noch stark aufgebaut wurden, zurückgeschraubt. Dabei half vor allem die Saison 2021 (Staffel 4), die das größtmögliche Drama im Titelkampf ganz natürlich selbst bot (No, Michael. No!). Grundsätzlich folgt Netflix pro Staffel einigen Teams immer an bestimmten Wochenenden, manchmal liegen sie damit richtig, manchmal leider auch falsch. Der Rest der Saison wird häufiger im Schnelldurchlauf und auch teilweise mehrfach eingespielt, einige Rennwochenenden, wie beispielsweise Monaco, werden auch häufiger aus unterschiedlicher Teamsicht in unterschiedlichen Episoden behandelt. Ich wünsche mir schon länger eine chronologische Erzählstruktur, aber das Folgen unterschiedlicher Teams an den Wochenenden und die jeweilige tiefere Einblick in diese Teams sind weiterhin spannend. In der Folge werde ich die Staffeln, die Saisons kurz präsentieren mit den Worten, die ich damals direkt nach den Releases wählte:
Staffel 1/Saison 2018: Die Serie kann mit Einblicken punkten, die man sonst nicht so von den Teams und Fahrern erhält. Dabei werden die Probleme, die man auf der Strecke sieht, gut neben der Strecke weitererzählt und tiefergehend erklärt. Dabei erhält man tatsächlich bei manchen Teams auch gute Einblicke, auch im Speziellen, wenn man mit Fahrern/anderen Teams unzufrieden ist/die Fahrer mit dem Team/Teamkollegen unzufrieden sind. Gerade die Folgen mit Red Bull (die wohl am präsentesten von allen Teams sind) und Haas fand ich ziemlich gut. Ansonsten frage ich mich, ob es nicht besser wäre, ein Team die ganze Saison über enger zu verfolgen, statt alle ein bisschen. Bei vielen Teams hört man auch viele PR-Phrasen und viel das, was man schon von all den anderen Teams gehört hat. Das ist etwas unnötiges Füllmaterial. Hinzu kommen natürlich auch Original Bilder der Saison auf der Strecke aus der Saison, so dass man die wichtigsten Dinge auch ohne Kenntnisse der einzelnen Rennen mitbekommt. Ferrari und Mercedes haben sich leider dafür nicht hergegeben.
Staffel 2/Saison 2019: Man merkt, dass die Reihe an Einfluss gewonnen hat, denn diesmal haben auch Mercedes und Ferrari eine Folge für sich bekommen. Die erste und die letzte Folge sind eher zusammenfassender Natur, die Folgen dazwischen widmen sich meist einem Team oder speziell einem Fahrer des Teams. Ansonsten gilt viel, was auch für Staffel 1 gilt. Es ist weiterhin eine Soap-Opera. Gerade die Einblicke in die Teams und die wachsenden Unzufriedenheiten mit Fahrern/bestimmten Teilen des Teams sind spürbar und es wird gefühlt wenig verschleiert. Pierre Gasly und Alex Albon bekommen mehr als eine Folge Aufmerksamkeit. Es hilft, dass dieser Fahrertausch nicht so aus dem Zusammenhang gerissen wirkt, wie bei fast allen anderen Teams, sondern man eine Entwicklung mitverfolgt, die die beiden zu den Stars der Staffel werden lässt. Das gipfelt natürlich in der Folge mit dem emotionalen Höhepunkt des tragischen Todes von Anthoine Hubert, mit dem vor allem Gasly, aber auch Albon viel gemeinsame Zeit verbindet. Dazu kommt noch die recht traurige, aber starke Hülkenberg-Folge. Letztlich gibt es einige Enttäuschungen für die eingefleischten Formel 1-Fans, da einige kontroverse Momente zwischen den Teams, bzw. zwischen den Teams und der FIA komplett ignoriert werden. Das liegt aber wohl daran, dass die Serie von der FIA produziert wird und letztlich eine Werbung für die Formel 1 sein soll. Letztlich ist die zweite Staffel etwas besser als Staffel 1, sie ist fokussierter und stringenter.
Staffel 3/Saison 2020: Staffel 3 bekommt erneut fast alle vor die Kamera, die Serie ist größer geworden und bedient sich in ihrer Inszenierung nun auch an klassischen Hollywood-Ideen. Das wird besonders deutlich in der 9. Folge, die über die ganze Staffel ständig angeteasert wird, aber aufgrund ihres Inhalts wohl auch die beste der Staffel ist. Ansonsten fand ich noch Folge 3 (Bottas),4 (Ferrari) und 6 (Gasly) ganz gut, der chronologische, allgemeine Einstieg mit Covid ist diesmal etwas langwierig. Die Haas-Folge ist diesmal leider etwas enttäuschend. Darüber hinaus wurden einige gute Geschichten der Saison leider nicht in der Gänze und Größte beleuchtet, wie ich es gerne gehabt hätte (Russell im Mercedes). Insgesamt ist aber auch Staffel 3 eine solide.
Staffel 4/Saison 2021: Sportlich gesehen ist es auf jeden Fall die beste Saison, da der Sport und der Titelkampf diesmal die großen Geschichten schrieben. Inhaltlich vielleicht die schwächste, wobei das nicht ganz fair ist: „Drive to Survive” ist ohnehin eher ein Produkt für die Leute, die die Saison nicht komplett verfolgen. Da ich das diesmal tat, fehlte mir viel. Der Ansatz, nur etwa 6-7 Rennen stark zu beleuchten und immer und immer wieder darauf zurückzukommen (einige Rennen werden 3x eingeleitet), führte diesmal zu zu vielen Auslassungen. Dafür war die Saison zu gut. Ansonsten steht der Titelkampf zurecht im Vordergrund, Toto und Horner, die ihren (fragwürdigen) Charakter wieder in Gänze zeigen dürfen, tragen ihn. Darüber hinaus gibt es viel McLaren (Ricciardo Show again), recht viel Williams (ok und ganz spannend mit der Bottas Nummer), eine Folge Haas (die komplett aus der Zeit gefallen wirkt),eine Folge Tsunoda und Ocons Probleme (schwache Folge, die beim Ungarn Sieg Alonsos Kampf komplett unterschlägt). Letztlich reißen die letzten 2 Folgen viel raus, weil der Titelkampf so oder so eben unfassbar und erinnerungswürdig bleibt. Die Einzelepisoden konnten teilweise leider nicht so überzeugen.
Staffel 5/Saison 2022: Toto mit dem Zitat der Season „This is closer to Top Gun than a documentary“. Staffel 5 ist wieder eine bessere Staffel. Das Drama ist weniger fabriziert, stattdessen gab es in dieser Staffel einiges an Drama frei Haus, was auch viel thematisiert wurde. Bouncing, Piastri, Budget Cap. Die Streitereien und Probleme innerhalb der Teams (Ferrari-Fiascos, Verstappen-Perez, etc.) werden aber eher kleiner gehalten. Generell hänge ich durchaus an den Lippen dieser Seifenoper, gerade in solchen Teamleitermeetings wie in Episode 2 oder wenn sich Alonso vollkommen in seinem Antagonisten-Licht sonnt, „I’m on the dark side.“ Thematisch fällt vielleicht die Alpha Tauri Episode etwas ab, ansonsten erreichen die Episoden ein recht hohes Niveau. Natürlich werden einige Szenen wieder zu häufig gezeigt, andere Szenen fehlen komplett (die FIA Fuckups: Raketeneinschläge in Saudi-Arabien, Meinungsfreiheit, Traktor auf der Strecke in Japan usw.) oder werden sehr kurz behandelt (Magnussen Pole), aber das gehört wohl dazu. Ganz fehlt leider ein schöner Vettel-Abschied, aber vielleicht hatte er daran auch weniger Interesse. Insgesamt ist Staffel 5 sicher eine der besseren Staffeln.
Staffel 6/Saison 2023: Die neue Staffel ist bemerkenswert frei von großartigem Drama neben der Strecke und sehr sportlich gehalten. Die Folgen sind etwas länger als in der vorherigen Staffel. Zu Beginn werden nach und nach einige Teams bei ihren Saisonstarts begleitet (Aston, McLaren, Alpha Tauri, Haas/Williams, Alpine, Mercedes), dann gibt es noch eine klassische Ferrari Monza Folge, die restlichen 3 Folgen sind während der Saison entstanden, als man schaute, wo das größte Drama/Potential lag. Eine gute Herangehensweise. Die Haas Thematik hat im Vergleich massiv eingebüßt und ist geradezu langweilig, ich fand die McLaren Folge, die Alpine Folge und die letzten beiden übergreifenden Folgen auf der positiven Seite herausstechend, die Hamilton/Mercedes Folge wirkt massiv aus der Zeit gefallen und auch der ganze Christian Horner Content muss nicht zwingend sein. Solide produziert, es gibt immer noch ein paar Mal Text/Bild Scheren, wo Audio und Bilder überhaupt nicht zueinander passen, aber es ist im Laufe der Staffeln weniger und besser geworden. Eine Staffel mit ganz gutem Niveau, aber ohne die ganz großen „Hinter die Kulissen”-Einblicke. Wenn man die Saison verfolgt hat und Red Bull redet quasi nur über Alpha Tauri, statt über Verstappen&Perez, dann wirkt das seltsam.
Staffel 7/Saison 2024 konnte auf ein großes Story-Potpourri zurückgreifen und musste daher keine eigenen großen Geschichten und Zweikämpfe erfinden. Dennoch fühlt sich diese Staffel – wie kaum eine zuvor – eher nach klassischem Saisonrückblick an. Zu Beginn die große „Lewis Hamilton wechselt zu Ferrari“ Nachricht, das Ende mit dem Kampf um Fahrer- und Konstrukteursweltmeisterschaft. Der Fokus liegt vor allem anfangs auf Hamilton und Sainz, dann auch viel auf McLaren, Christian Horner ist immer noch ein komplettes Arschloch, dem aus meiner Sicht zu viel Screentime eingeräumt wird. Aber er füllt die Verstappen-Lücke (der weiterhin nicht wirklich viel mit Netflix spricht) und steht für Red Bull, die gleich zwei Teams und jährliche Nachrichten rund um die Vergabe ihrer 4 Plätze als Geschichte zu bieten haben. Die Storyline um Norris, seine Selbstzweifel und seine Entwicklung fand ich dabei durchaus spannend, ansonsten sticht die LeClerc Einzelfolge heraus und auch der etwas andere Ansatz der Singapur-Episode gefiel mir. Der andere Arsch Briatore bekommt dann auch noch seine Folge, aber dies wird durch das Brasilien Rennen immerhin auch sportlich gut unterstützt. Produziert ist diese Staffel so clean wie kaum eine zuvor, die Flüchtigkeitsfehler der ersten Staffeln gehören weitgehend der Vergangenheit an. Insgesamt eine gute Nacherzählung einer aufsehenerregenden Saison, die darüber hinaus einige spannende Einsichten zu bieten hat, aber doch recht sehr bei einer Zusammenfassung bleibt.
Die Staffeln sind alle auf einem ähnlichen Niveau. Wenn man Lust auf Motorsport hat, oder auch auf die Soap Opera Geschichten hinter den Autos, der sollte mal hineinschnuppern.



